Rubinroter Schatten - Frost, J: Rubinroter Schatten - Eternal Kiss of Darkness (Night Huntress World/ Cat & Bones Welt 2)
überhaupt nicht lächerlich oder ungewöhnlich gefunden. Er hatte ihr sogar geraten, ihrem Bauchgefühl mehr Beachtung zu schenken. Auf es zu hören. Für jemanden, der fliegen und Objekte mit dem Geist beeinflussen konnte, war ihr innerer Kompass anscheinend nichts Absonderliches.
Wenn sie allerdings jetzt auf ihre innere Stimme hörte, sagte die immer nur wieder das, was ihr schon in den vergangenen Tagen im Kopf herumgespukt war: dass sie einen großen Verlust erlitten hatte, als Mencheres in die Nacht verschwunden war. Hätte sie ihn irgendwie davon abhalten können? Zum Beispiel, indem sie ihm sagte, dass sie ihn wiedersehen wollte, statt nur zu fragen, ob er für immer fortgehen würde, ohne ihm kundzutun, was sie davon hielt?
Kira war so in Gedanken versunken, dass sie die dunkle Gestalt in den Schatten vor ihrer Haustür erst nach einigen Augenblicken bemerkte. Sie fasste den Schulterriemen ihres Rucksacks fester, ging weiter und tat so, als hätte sie sie nicht gesehen, obwohl jeder Muskel in ihr sich verspannte. Als sie die Haustür fast erreicht hatte, schnellte eine Hand in ihre Richtung. Kiras Adrenalinspiegel schoss in die Höhe, als sie sich duckte, dem Knöchel des Mannes einen gehörigen Tritt verpasste und ihm ihren schweren Rucksack entgegenschleuderte. Durch ihre Ausbildung an der Polizeiakademie und mehrere Selbstverteidigungskurse liefen die Bewegungen eher reflexartig als überlegt ab.
» Autsch!«, jaulte der vermeintliche Angreifer, während er schwankend auf einem Bein hüpfte. » Kira, was soll der Scheiß?«
Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, sonst hätte sie dem Mann auch noch einen Tritt in den Unterleib verpasst. » Rick?«
Der andere richtete sich auf, sodass sie im Licht der Straßenlaterne das Gesicht ihres Halbbruders erkennen konnte. » Ja, ich bin’s. Verdammt, hast du mir wehgetan!«
Ihr Herz raste noch immer. Schließlich hatte sie eben noch geglaubt, sie sollte überfallen werden und müsste ihr Leben verteidigten, sodass ihre Stimme einen schneidenden Tonfall annahm. » Es ist nach Mitternacht, und du lungerst hier in einem verdammten Kapuzen-Shirt rum und stürzt dich einfach so auf mich. Du kannst von Glück sagen, dass ich noch keine neue Pistole habe, sonst hätte ich dich nämlich abgeknallt!«
» Ich wollte mich nur bemerkbar machen.« Er klang eher bockig als zerknirscht. » Beinahe wärst du an mir vorbeigelaufen.«
Typisch Rick; er dachte nie nach, bevor er eine Dummheit machte. Kira stieß einen Seufzer aus. Ihr war gerade nicht danach, ihrem kleinen Bruder die Leviten zu lesen.
» Was machst du hier so spät?«
Gehetzt sah er sich um. » Ich habe tagelang versucht, dich auf deinem Handy zu erreichen, aber du bist einfach nicht rangegangen. Die Nummer von deinem Büro ist mir nicht mehr eingefallen, da dachte ich, ich komme mal vorbei und warte, bis du heimkommst. Dass es so lange dauert, hätte ich nicht gedacht.«
Klar war sie nicht ans Handy gegangen. Mencheres hatte es ihr nicht zurückgebracht, nachdem er sie mit nichts als der Tüte voller Blutfläschchen und ihren Haustürschlüsseln auf dem Dach abgesetzt hatte, und Ersatz hatte sie noch nicht besorgt. Ihr Rucksack war wohl auch noch bei Mencheres; daher hatte er wohl ihre Schlüssel. Falls er ihre Habseligkeiten nicht gleich weggeworfen hatte, nachdem er sie am besagten Abend auf dem Dach abgeladen hatte.
» Komm rein«, murrte Kira. So viel zu ihrem Plan, noch schnell unter die Dusche zu springen und dann gleich ins Bett zu gehen.
Rick lächelte. Durch die Grübchen sah er jünger aus als fünfundzwanzig, sein wahres Alter. Trotz besseren Wissens spürte Kira, wie ihre Verärgerung ein wenig nachließ. Vielleicht hatte Rick sich nur Sorgen um sie gemacht, als er sie nicht erreichen konnte, und war deshalb gekommen.
Quatsch, flüsterte ihre innere Stimme.
Kira hoffte, es wären Müdigkeit und Zynismus, die da aus ihr sprachen, nicht ihr Instinkt. Eine schöne Vorstellung, Rick könnte ohne Hintergedanken gekommen sein.
» Hast du Hunger?«, fragte sie ihn, während er ihr ins Haus folgte. » Ich hab noch ein paar Tiefkühlpizzas, die du dir heiß machen könntest.«
» Äh, so lange wollte ich eigentlich nicht bleiben«, war Ricks ausweichende Antwort.
Ihre Hoffnung zerstob. Hab’s dir ja gesagt, flüsterte ihre innere Stimme.
Kira trat nicht in den Aufzug, als sich dessen Türen öffneten. Sie setzte den Rucksack ab und warf ihrem Bruder einen erschöpften und strengen Blick
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