Rubinrotes Herz, eisblaue See
empfing mich der Geruch nach Hasch. Andy saß summend und leise schaukelnd auf dem Boden und warf kleine Zweige ins Feuer.
»Wie ich sehe, hast du Holz geholt«, sagte ich.
»Hey.« Er drehte sich zu mir um. Das Weiß seiner Augen war kirschrot.
»So kannst du nicht zum Essen mitkommen.«
»Was?« Er kicherte. »Du bist hübsch.«
»Wie heiße ich?«, fragte ich. »Weißt du überhaupt, wie ich heiße?«
Lachend schlug er sich auf die Schenkel. »Wie du heißt? Klar weiß ich, wie du heißt. Du bist meine süße Florine aus The Point. Mein Mädchen.«
»Verdammt«, sagte ich. »Andy, ich gehe jetzt zum Essen. Wenn ich nicht auftauche, machen die beiden sich Sorgen.«
»Oh.« Sein Gesicht wurde plötzlich ernst. »Na, dann hilf mir hoch, und wir gehen.«
»Du bist zu bekifft.«
Er fing wieder an zu lachen, und ich drehte mich um und ging hinaus in die Dunkelheit. Am Waldrand holte er mich ein. Er warf sich von hinten auf mich, sodass ich auf den verharschten Schnee fiel und mir die Hände aufschürfte. Seine Hände wanderten unter den frisch gewaschenen, gebügelten Rock, den ich für das Abendessen angezogen hatte.
Mit Tränen in den Augen schob ich seine Hände weg. »Lass das. Ich muss los. Geh zurück ins Haus, sonst erkältest du dich noch.«
Er strich mit der Rückseite seiner Finger über meine Wange und betrachtete mich mit einem Blick, in dem so viel Liebe lag, dass es wehtat. Ich versuchte, mich unter ihm hervorzuwinden.
»Ich muss los«, wiederholte ich. »Wir sehen uns später, okay?«
Er rollte sich zur Seite und half mir auf. Lächelnd sagte er: »Ich liebe dich.«
Meine Hände und Knie schmerzten. »Ich dich auch.« In dem Moment meinte ich es ehrlich. Wie auch nicht, wo er mich doch so sehr brauchte?
Er küsste mich so fest, dass ich mir die Lippe an einem Zahn verletzte und Blut schmeckte.
»Andy, bitte lass mich gehen.«
Nachdem ich ein kleines Stück gegangen war, blickte ich mich noch mal um. Er sah mir nach. In dem Zwielicht schien er auf dem Weiß zu schweben.
Da ich mich nach meinem Sturz erst noch umziehen und meine Hände sauber machen musste, war es halb sechs, als ich zu Daddy und Stella rüberging. Ich sagte den beiden, Andy hätte eine plötzliche Erkältung bekommen. Doch Stellas Augen leuchteten wie Scheinwerfer, und ich wusste, sie konnte es kaum erwarten, am nächsten Morgen allen zu erzählen, dass Andy nicht gekommen war. Dadurch würde er auffallen wie ein bunter Hund und weit mehr im Rampenlicht stehen, als er je gewollt hatte.
44
In der Nacht blieb ich in meinem eigenen Bett. Ich wartete auf Andy und machte mir Sorgen, als er nicht kam. Irgendwann in den frühen Morgenstunden schlief ich schließlich ein.
Gegen zehn am Samstagvormittag klingelte das Telefon. Es war Dottie, die wissen wollte, ob ich zu Hause war. Sonst rief Dottie eigentlich nie an, sondern kam einfach vorbei, und ihr Anruf machte mir bewusst, dass sie vermutlich etliche Male vor verschlossener Tür gestanden hatte. Auf einmal konnte ich es kaum erwarten, sie zu sehen, und zur Feier des Tages machte ich Kakao und einen Stapel Zimttoasts. Wir setzten uns an den Küchentisch und futterten drauflos, während Dottie ihre Neuigkeiten erzählte.
»Ich hätte fast einen Dreihunderter gebowlt«, sagte sie. »Na ja, eher so zweihundertfünfzig, aber auf jeden Fall näher an den Dreihundert als an den Zweihundert.«
»Dazu müsste ich wahrscheinlich zehn Partien spielen«, sagte ich.
»Schon möglich, aber dafür hast du andere Talente. Wie läuft’s mit Andy?«
»Gut«, sagte ich. »Nein, nicht so gut.«
»Na, was denn jetzt?«
Ich erzählte ihr von dem Essen, wie Andy sich zugekifft hatte und dass er immer neue Ausreden fand, um einem Treffen mit Daddy aus dem Weg zu gehen. »Er hat mir gesagt, dass sein Vater ihn oft geschlagen hat und dass er ein Trinker ist. Jedes Mal, wenn er von ihm spricht, ist es, als würde sich eine schwarze Wolke über ihn senken.«
»Na ja, an dem Tag, als wir uns bei ihm entschuldigen mussten, hat er sich auch aufgeführt wie ein General«, sagte Dottie. »Er ist an uns entlanggegangen, als wären wir junge Rekruten. Ich hab nur darauf gewartet, dass er eine Peitsche zückt und uns alle grün und blau schlägt.«
Bei der Vorstellung, wie Mr. Barrington versuchte, Daddy, Sam und Bert zu schlagen, musste ich schmunzeln.
»Madeline hat mich dazu überredet, mich bei ein paar Colleges zu bewerben«, sagte Dottie. »Sie meint, ich brauche einen Plan B, für den
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