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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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lauschte ich mit einem Ohr, was am Küchentisch gesprochen wurde, wo die Frauen saßen und eine Kanne Tee nach der anderen tranken.
    Sie kannten Carlie nicht gut. Sie hatte sich in ihrem Leben mit Daddy und mir ein Nest geschaffen, aber sie war zu rastlos, um zu quilten wie Ida oder zu malen wie Madeline oder zu nähen und zu backen wie Grand. Carlie blieb gerne in Bewegung. So war sie eben.
    Ich hörte, wie Stella sagte: »Aber irgendwie seltsam ist es doch. Fast so, als hätte sie es geplant.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Grand in scharfem Tonfall.
    »Ich will damit nur sagen, das Ganze ist merkwürdig.«
    Madeline meinte: »Eine Ehefrau und Mutter geht einkaufen und verschwindet. Das ist in der Tat merkwürdig.«
    Ein kaltes Band schlang sich mir ums Herz. Ich stand auf und ging hinüber zur Küche. Als Grand mich bemerkte, sagte sie: »Florine, wollt ihr etwas zu essen?«
    Ich beachtete sie nicht, sondern starrte Stella an. »Es ist überhaupt nicht merkwürdig.«
    »Ach, Florine, so habe ich das auch nicht gemeint«, sagte Stella. »Ich denke nur laut.«
    »Vielleicht denkst du besser mit geschlossenem Mund«, entgegnete ich.
    »Florine, entschuldige dich«, sagte Grand streng. »So einen Ton will ich hier nicht hören.«
    Ich murmelte: »Tut mir leid«, und setzte mich wieder ins Wohnzimmer.
    Kurz danach gingen alle außer Madeline und Dottie, und der Tag zog sich hin. Grand ging hinüber, um die heimkehrenden Boote zu begrüßen. Sam und Bud waren für Daddy mit der Carlie Flo rausgefahren. Obwohl Dottie so ein unruhiger Geist war, blieb sie die ganze Zeit bei mir, weil ich das Haus nicht verlassen wollte. Ich hockte neben dem Telefon und wartete auf Nachricht.
    Zum Abendessen machte Madeline mir einen Hotdog, genau so, wie ich ihn am liebsten mochte, aber ich schaffte es nicht, ihn aufzuessen. Gegen sechs klingelte endlich das Telefon, und Madeline nahm den Hörer ab. Daddy sagte ihr, die Polizei hätte jetzt Carlies Foto. Nein, sie sei nicht aufgetaucht, aber am nächsten Morgen würde die Polizei mit dem Foto überall in Crow’s Nest Harbor herumgehen und in den Geschäften fragen, ob jemand sie gesehen hatte. Dann kam Grand wieder rüber, und Madeline ging nach Hause.
    Dottie und ich setzten uns draußen auf die Stufen. Dünne, purpurrote Wolken hingen wie Spinnweben im Zwielicht, noch lange nachdem die Sonne untergegangen war. Glühwürmchen tanzten über dem Rasen. Carlie liebte Glühwürmchen. »Ich mag es, wie sie aufleuchten, dann erlöschen und ganz woanders wiederauftauchen«, hatte sie mal gesagt. »Hier bin ich! Nein, hier! Das ist wie Zauberei.« Sonst holten Dottie und ich meist ein Glas und fingen sie ein, aber an dem Abend saßen wir einfach nur da und schwiegen. Gegen halb neun rief Grand uns herein. Sie ließ Dottie bei mir im Bett übernachten, und ich versuchte zu schlafen, aber Dotties stämmiger Körper und meine zerzausten Gedanken bedrängten mich zu sehr. Ich dachte, Dottie wäre längst eingeschlafen, deshalb zuckte ich zusammen, als sie plötzlich sagte: »Ihr ist bestimmt nichts passiert. Die Polizei findet sie schon.« Danach schlief sie ein, und ich lauschte eine Weile ihren Atemzügen, dann stand ich auf. Grand saß auf dem Sofa, strickte und schaute die Tonight Show mit Johnny Carson.
    Ich setzte mich zu ihr.
    »Wieso bist du noch auf?«, fragte sie.
    »Ich will Carlie«, sagte ich. »Ich will meine Mutter.«
    Grand legte ihr Strickzeug weg und zog mich an sich. Ich legte den Kopf auf ihren Schoß und schluchzte in ihr Kleid, während sie mir über den Kopf strich und »Schhh« machte. Johnny Carson wünschte allen eine gute Nacht, dann kam die Nationalhymne und dann nur noch Rauschen, aber Grand blieb einfach sitzen, streichelte mich und summte leise Kirchenlieder, bis ich einschlief.

7
     
    Drei Tage später kam Daddy aus Crow’s Nest Harbor zurück.
    Ich saß den ganzen Sonntag am Picknicktisch vor unserem Haus und hielt nach ihm Ausschau. Endlich rumpelte der Pick-up die Straße hoch. Daddy war kaum ausgestiegen, da war ich schon bei ihm und klammerte mich an ihn wie ein kleines Äffchen. Er drückte mich an sich und trug mich ins Haus.
    »Sam hat ein Sechserpack ‘Gansett für dich vorbeigebracht«, sagte Grand zu ihm. »Ich soll ihm Bescheid sagen, wenn du wieder hier bist. Willst du ihn sehen?«
    »Meinetwegen«, sagte er. »Von mir aus ruf alle an, und ich erzähl ihnen, was los ist.« Daddy und ich setzten uns an den Picknicktisch, und nach und nach

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