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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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DU MICH BITTE ZUR SCHULE BRINGEN?«
    »Jesses.« Er verschwand wieder im Bad und übergab sich erneut, während ich die Tür hinter mir zuknallte und wütend die Einfahrt hinunterstapfte.
    Grand kam aus dem Haus und rief: »Du bist aber spät dran heute. Alles in Ordnung?«
    »Nein«, brüllte ich. »Nichts ist in Ordnung. Ich hasse Daddy. Er ist ein Mistkerl.«
    Ich marschierte an ihr vorbei und zur Bushaltestelle, den Kopf gegen den beißenden Wind gesenkt. Als Daddys Pick-up mit quietschenden Reifen aus der Einfahrt fuhr, legte ich noch einen Gang zu, doch er holte mich ein.
    »Steig ein, Florine«, sagte er durch das offene Seitenfenster. »Ich hab keine Zeit für Spielchen.«
    »Nein. Ich gehe zu Fuß.«
    »Das sind sechs Meilen. Steig ein, verdammt noch mal.«
    »Nein.«
    Er zog die Handbremse an, sprang aus dem Wagen und kam hinter mir her. Ich fing an zu laufen, doch er packte mich und warf mich über seine Schulter. Ich schrie aus Leibeskräften und schlug mit den Fäusten auf seinen Rücken, aber er stapfte zum Wagen zurück, ohne sich darum zu scheren. Er warf mich auf den Beifahrersitz, knallte die Tür zu und stieg auf seiner Seite wieder ein. Wir kochten beide still vor uns hin, während er fuhr, und wir waren in Rekordzeit an der Schule. Ich stieg aus und ließ die Tür offen, sodass er um den Wagen herumgehen musste, um sie zu schließen.
    Als ich ins Klassenzimmer kam, sah Mrs. Richmond erst mich an, dann die Uhr, dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, und ich konnte förmlich hören, wie sie dachte: »Ach, die arme Florine. Ihre Mutter ist entweder weggelaufen oder tot. Ich muss Geduld mit ihr haben.« Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte mich zum Direktor geschickt, aber sie sagte nur: »Wir haben gerade mit Mathematik angefangen. Wie wär’s, wenn du ein bisschen mit Rose übst?«
    Also machte ich wieder kehrt, die arme Rose im Schlepptau. Wir gingen in den kleinen Raum, und Rose setzte sich ganz dicht neben mich. Sie roch nach getrockneter Pisse. Ich rückte ein Stück von ihr weg. »Fangen wir an.«
    »Ich mag deine Bluse. Sie ist hübsch«, sagte Rose.
    »Ist dieselbe wie gestern«, erwiderte ich knapp. »Los jetzt.«
    Wie immer kriegte sie nichts auf die Reihe.
    »Ich habe dir doch gerade gezeigt, wie es geht, Rose«, sagte ich, ein bisschen laut und ziemlich ungeduldig.
    Ihr Lächeln flackerte wie eine Kerzenflamme im Luftzug. »Hab’s vergessen.«
    »Dann konzentrier dich jetzt«, sagte ich. »Ich zeig’s dir noch ein letztes Mal, und dann sage ich gar nichts mehr, bis du es richtig machst.«
    »In Ordnung.« Sie beugte sich über das Heft und fuhr mit ihrem kleinen Finger über die Zahlen, die Lippen vor Konzentration gespitzt. Sie brauchte lange, bis sie zu einem Ergebnis kam, aber sie schaffte es, und dann legte sie den Stift weg und faltete die Hände.
    Ich kam vom Fenster zurück, wo ich einem Flugzeug nachgesehen hatte, in dem Carlie saß. Oder auch nicht.
    »Lass mal sehen«, sagte ich. Als ich sah, dass das Ergebnis falsch war, verdrehte ich die Augen. »Rose, was soll ich bloß machen? Soll ich Mrs. Richmond vielleicht sagen, dass du das nicht kannst?«
    Immer noch ein winziges Lächeln, aber sie schüttelte den Kopf.
    »Nun, dann musst du das Zeug hier lernen.«
    »Mach ich«, sagte sie.
    Sie versuchte es noch einmal, aber es war wieder falsch. Da riss mein Geduldsfaden.
    »Du kannst das nicht«, sagte ich. »Du bist einfach zu dumm.« Rose’ Lippen fingen an zu zittern, und ihr stiegen die Tränen in die Augen.
    »Ich weiß, dass ich dumm bin«, sagte sie. »Aber du musst nicht mit mir schimpfen. Ich weiß, du bist traurig, weil deine Mutter tot ist.«
    »Sag das nicht! Sie ist nicht tot!«, brüllte ich, und dann sank ich auf dem Boden zusammen. »Das darfst du nicht sagen«, schluchzte ich. »Niemand darf das sagen!«
    Rose war so erschrocken über meinen Ausbruch, dass sie genauso laut zu weinen anfing, und wir konnten beide nicht mehr aufhören. Wir starrten unsere zu hässlichen Masken verzerrten Gesichter an, während Tränen und Rotz über unsere Wangen liefen und auf unsere Kleider tropften.
    Seltsamerweise hörte uns niemand. Keiner kam angerannt, um nachzusehen, was da los war. Nach und nach krochen Scham und Verstand aus ihrem Versteck, und ich sagte schniefend: »Tut mir leid, Rose. Hab keine Angst. Es tut mir wirklich leid«, denn sie weinte immer noch so sehr, dass sie am ganzen Körper bebte. Ich wischte mir mit den Händen übers Gesicht, stand auf und

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