Rubinrotes Herz, eisblaue See
Arme vor der Brust und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Ach, du bist ihre Tochter«, sagte er. »Lorraine?«
»Nein, Florine.«
»Florine«, sagte er und nickte. »Als die Polizei damals bei mir vor der Tür stand, wäre beinahe meine Ehe zerbrochen.«
»An dem Tag am Strand schien Ihre Ehe Sie aber nicht groß zu kümmern.«
»He, jetzt mach aber mal halblang.« Mike streckte die Arme vor sich aus, als hätte er Angst, dass ich mich auf ihn stürzte. »Florine, das mit deiner Mutter tut mir leid. Sie war eine nette Frau. Wir haben geflirtet, weiter nichts. Im Restaurant. Ich hab in dem Sommer Milch für die Maplehurst Dairies ausgefahren. Ab und zu hab ich im Lobster Shack Pause gemacht und ein bisschen mit Patty und Carlie geschäkert. Eines Tages hat Patty mich eingeladen, mit an den Strand zu kommen. Aber das war auch alles. Ich hätte deiner Mutter nie etwas getan.«
Ich starrte ihn an, und in mir wurde alles zu Stein.
»Hör mal, Florine, ich mache heute Vertretung für den Sportlehrer bei den Jungs, und ich muss los. Ist alles okay? Ich schwöre dir, ich hätte Carlie niemals etwas getan. Sie war nett. Sie war witzig. Und sie liebte deinen Vater. Das wusste jeder. Glaubst du mir?«
Ich wandte mich ab und ging zu meinem Klassenzimmer. Ich war spät dran. Den Rest des Tages saß ich wie benebelt da und dachte an Carlie, den Strand, Mike und die Zeit damals. Diese furchtbare, qualvolle Zeit. In Gedanken war ich immer noch da, als ich zu Bud ins Auto stieg. Er war allein. Glen hatte früher Schluss gehabt und arbeitete bei Ray im Laden, und Dottie war beim Bowlen.
»Ich hab gehört, du bist in der Umkleide ausgerastet«, sagte Bud.
»Stimmt.«
»Muss gutgetan haben.«
Danach schwiegen wir, bis wir bei Grands Haus waren. »Du bist besser als die alle«, sagte Bud. »Das weißt du doch, oder?«
»Ich wünschte, das alles wäre nie passiert. Ich wüsste gern, wie mein Leben dann verlaufen wäre.«
»Auf jeden Fall anders. Aber ich finde, du hast es gut hingekriegt. Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte, ohne durchzudrehen. Du bist was Besonderes.« Er drückte kurz meine Hand.
»Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich. Wir sahen uns an und lächelten.
»Bis morgen«, sagte er. Ich sah ihm nach, wie er davonfuhr, dann ging ich ins Haus, um mit Grand einen Tee zu trinken.
Sie war nicht in der Küche. Der Wasserkessel blubberte, und ich drehte das Gas ab. Als ich den Kessel vom Herd nahm, merkte ich, dass kaum noch Wasser darin war. »Oh Grand«, sagte ich und ging ins Wohnzimmer, um sie mit ihrer Schusseligkeit aufzuziehen. Sie lag zwischen dem Sofa und dem Beistelltisch auf dem Boden. Sie stöhnte, und ich lief zu ihr.
33
Ich deckte Grand mit einer von ihren Häkeldecken zu, dann rief ich den Krankenwagen und schaltete den Fernseher aus. Sie murmelte und stöhnte vor sich hin, und ich bemühte mich zu verstehen, was sie sagte. Sie hatte die Augen halb geschlossen, und ich hoffte inständig, dass das Licht darin nicht erlöschen würde.
Die Novemberdämmerung brachte den Tag zum Stillstand. Mein Herz schlug mir bis in den Schädel, und ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen. Immer wieder summte ich die Melodie von Amazing Grace. »Der Krankenwagen ist unterwegs, Grand. Halte durch.«
Endlose Minuten später hörte ich die Sirene, und das Blaulicht flackerte herein, als Bert Butts und sein Bruder Wayne sich die Schuhe auf der Fußmatte abputzten, wie Grand es immer allen eingebläut hatte.
»Wo ist der Lichtschalter?«, rief Wayne. »Links neben der Tür«, rief ich zurück. Das Licht im Flur ging an, dann in der Küche, dann im Wohnzimmer, und dann kümmerten sie sich um Grand, während ich danebenstand und zusah, die Hände unter die Achseln geklemmt, um das Zittern zu unterdrücken.
Erneutes Füßescharren im Flur, dann kamen Bud und Glen herein. Sie blieben in der Tür zum Wohnzimmer stehen, und ihr Atem bildete im Lichtschein kleine Wolken.
»Holt die Trage«, sagte Bert zu ihnen.
Zu viert drehten sie Grand vorsichtig auf den Rücken, zählten bis drei und hievten sie auf die Trage. Draußen am Krankenwagen zählten sie erneut und luden sie hinein. Ich setzte mich hinten zu Bert und Grand, Wayne schaltete die Sirene wieder ein, und wir holperten den felsigen Hügel hinauf. Im Lichtschein vor Rays Laden standen ein paar Leute und fragten sich wohl, was passiert war. Dann verschlang die Dunkelheit alles außer dem Innenraum des Krankenwagens.
Wir rasten nach Long
Weitere Kostenlose Bücher