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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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Reach. Die Autos wichen an den Straßenrand aus, als wir vorbeiflitzten - alle, bis auf einen alten Chevy mit einem Aufkleber am Heck, auf dem stand: »Kriech mir nicht in den Arsch, Kumpel«. Er machte einfach keinen Platz, und auf der kurvigen Straße konnten wir nicht überholen.
    »Herrgott noch mal!« Wayne drückte auf die Hupe. Nichts.
    »Hat wahrscheinlich die Musik voll aufgedreht«, sagte Bert.
    »Dem mach ich gleich Musik unterm Hintern, wenn er nicht zur Seite fährt«, knurrte Wayne.
    Grand stöhnte. Ich nahm ihre kalten, trockenen Hände in meine. »Geht’s ihr schlechter?«, fragte ich Bert.
    Er tastete am Hals nach ihrem Puls. »Drück auf die Tube«, sagte er zu Wayne.
    Doch der Chevy gondelte vor uns her wie ein Träumer, der in einem Albtraum gefangen war.
    »Überhol den verdammten Idioten oder fahr ihn in den Graben«, polterte Bert.
    »Bin schon dabei«, sagte Wayne. Dann trat er aufs Gas, und wir zogen an dem Chevy vorbei und jagten durch die Kurve am Pine Pitch Hill. Ich wartete darauf, durch die Luft zu segeln oder mit einem entgegenkommenden Auto zusammenzuknallen, doch nichts passierte. Durch das Heckfenster sah ich den Chevy immer noch gemütlich vor sich hin fahren, als wäre er allein auf der Welt.
    »Verdammt«, murmelte Bert und nahm das Stethoskop von Grands Brust.
    »Was ist?«, rief ich. Meine Eingeweide erstarrten zu Stein.
    »Wayne, gib alles«, sagte Bert. »Und du, Florine, mach mal Platz.« Hektisch sprang ich zur Seite, während er die Hände auf Grands Brust legte, presste und zählte, presste und zählte.
    Ungefähr fünf Minuten vergingen, bis Wayne endlich in die Notaufnahme fuhr. Sofort wurde Grand aus dem Wagen gehoben, hineingerollt und in einen mit Vorhängen abgeteilten Raum gebracht. Ich wollte ihr folgen, aber eine Frau in einem blauen Kittel hob die Hand und sagte: »Bitte draußen warten.«
    Hinter dem Vorhang war Stimmengemurmel zu hören, dann piepte etwas, jemand sagte: »Los«, und dann gab es einen Knall. Vor Schreck machte ich einen Satz zurück und stieß gegen einen großen, behaarten Mann.
    »Du hast hier nichts verloren«, fuhr er mich an und fixierte mich einen kurzen, aber schrecklichen Moment mit seinen schwarzen Augen. Er deutete auf ein Schild mit der Aufschrift »Wartezimmer für Angehörige«, und ich ging zögernd dorthin. Ein alter Mann saß auf einem braunen Sofa und schaute zu dem Fernseher, der an der Wand befestigt war. Ich wollte nicht hineingehen, also drehte ich mich um und ließ den Blick durch den Flur wandern. Ein Mann, der ungefähr so alt war wie Daddy, fuhr mit dem Wischmopp über den Boden. Ich wäre gern an seiner Stelle gewesen. Er musste sich um nichts Sorgen machen außer um seinen Fußboden, während um ihn herum einige Menschen die schlimmsten Augenblicke ihres Lebens durchmachten. Vielleicht würde ihm das auch noch passieren, aber nicht jetzt. Jetzt musste er nur den Boden wischen.
    »Komm rein und setz dich zu mir, junge Dame«, rief mir der alte Mann zu, und ich drehte mich um. Sein Blick war immer noch auf den Fernseher gerichtet, aber er winkte mir mit seiner schmalen Hand. Ich setzte mich auf den blauen Stuhl neben dem Sofa. Doch im selben Moment kam Bert herein, und wir gingen wieder in den Flur. Er sah mich ernst an.
    »Florine, sie tun, was sie können«, sagte er. »Aber es sieht nicht sehr gut aus. Sie ist zäh, aber sie hatte einen schlimmen Schlaganfall, und wie’s aussieht, kommen immer noch welche nach.«
    Ein eisiger Schauer fuhr mir mit seinen Krallen über den Rücken.
    Bert legte mir die Hand auf die Schulter und ließ sie dort liegen.
    »Wird Grand sterben?«, fragte ich.
    Als Bert seine Hand zurückzog, kannte ich die Antwort. Doch er sagte: »Nicht, solange die Ärzte noch ein Wörtchen mitzureden haben. Dein Vater ist auf dem Weg hierher.«
    Er ging davon, und ich setzte mich wieder zu dem alten Mann ins Wartezimmer. Auf dem Bildschirm war eine Fernsehsprecherin zu sehen, die die Nachrichten vorlas. Da der Ton abgestellt war, wussten wir nicht, ob es gute oder schlechte Nachrichten waren. Ihr Gesichtsausdruck blieb neutral, kein Lächeln, kein Stirnrunzeln, nur ihr Mund bewegte sich. Eine Bombe könnte genau in diesem Moment die ganze Welt in die Luft jagen, und sie würde es uns ohne die geringste Regung mitteilen.
    »Ich hab dir einen Kakao geholt«, sagte jemand, und ich wandte mich um. Es war Glen, er hielt mir einen Pappbecher hin. Bud stand neben ihm.
    »Ich habe keinen Durst«, sagte ich.

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