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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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unsere Mitgliedsbeiträge unterschlagen und verfressen haben?«
    »Wie hast du denn das rausbekommen?«, fragt Carlo.
    »Ganz einfach, mein Sohn, durch Nachdenken. Hast du dir schon mal überlegt, was mit unseren Mitgliedsbeiträgen, insgesamt 500 Mark jährlich, geschieht?«
    »Nein.«
    »Eben! Darauf bauen die Kerle, verfressen, versaufen und verhuren unser Geld.«
    »Nicht schlecht, Reb Jid«, lässt sich Peter vernehmen.
    »Und?«
    »Wir müssen heute eine Grundsatzdiskussion erzwingen. Dabei auf die Geldfrage zu sprechen kommen, das wird diese Ganoven vollkommen isolieren, und dann müssen wir sofort Neuwahlen erzwingen.«
    »Aber wir sollen heute doch über die Einwanderung nach Israel diskutieren«, wirft Carlo ein.
    »Sollen schon, aber wollen nicht. Wir funktionieren die ›Sinai‹ heute einfach um. Statt Einwanderung ins Gelobte Land, an die eh niemand mehr glaubt, die Frage nach dem lieben Geld«, meine Stimme ist hell.
    »Aber wie wollt ihr das anstellen?«
    »Lasst uns nur machen. Ich habe da eine ganz bestimmte Idee«, Peter lächelt in sich hinein.
    Mittlerweile ist Polzig, dicht gefolgt von seiner Brut, Arale, Miri Katz, Fanny Friedländer und Henry Nelkenbaum, im Tagungsraum eingezogen. Polzig nimmt Platz, sammelt sich kurz und ruft gegen den abschwellenden Lärm: »Meine lieben Freunde, es ist schon Viertel nach acht. Wir müssen anfangen, denn wir haben heute ein großes Programm vor uns.« Er räuspert sich mehrmals: »Meine lieben Freunde, heute haben wir vielleicht die wichtigste Sitzung im Jahr. Es geht, wie ihr sicher alle wisst, um die Aliya 2 , die Einwanderung nach Israel. Viele von euch haben bereits mehr als die Hälfte des Studiums hinter sich, und so wird es Zeit, langsam die Aliya zu planen.«
    »Herr Polzig, gestatten Sie mir die Frage, wieso langsam und nicht sofort?«
    »Weil Israel Fachleute braucht, die beim Aufbau des Landes helfen, und keine Studenten, die nur den Steuerzahler Geld kosten.«
    »Aha, eine neue Wiedergutmachungsvariante: Ausbildungshilfe.«
    »Rubinstein, unterbrich mich nicht!«
    »Ich muss, Herr Polzig! Denn Sie predigen hier einen Zionismus mit beschränkter Haftung. Werdet erst mal was, damit ihr Israel etwas geben könnt. Zuerst Abitur, dann Studium, dann ein wenig Berufspraxis, denn man will ja nicht mit leeren Händen ins Gelobte Land kommen und, wie Sie sagten, ›dem israelischen Steuerzahler zur Last fallen‹. Inzwischen ist man um die vierzig, hat meistens schon Familie und Geschäft. Glauben Sie im Ernst, dass dannnoch jemand nach Israel gehen wird? Schauen Sie sich doch unsere Eltern an.«
    Ehe er einen Ton herausbringt, setze ich meine Predigt fort. »Die Art von Zionismus, die Sie und Ihre Konsorten predigen, Herr Polzig, ist in Wahrheit eine Perversion des Zionismus. Durch ihren Vorbereitungszionismus nehmen Sie den Juden hier ihr schlechtes Gewissen, in Deutschland statt in Israel zu leben.
    Zionismus heißt Einwanderung nach Israel, ohne Wenn und Aber, ohne Vorbereitungen und Schmorbereitungen. Vor allem ohne Berufszionisten, die, statt die Einwanderung nach Israel zu fördern, von Israel in die Diaspora gehen, es sich dort gutgehen lassen und eine Einwanderung nach Israel mit ihrem Gerede systematisch verhindern.« Alle sitzen erstarrt. Bislang hatte keiner von uns gewagt, offen Polzigs Autorität in Frage zu stellen, nun habe ich ihn als Heuchler und Schmarotzer angeprangert. Polzigs Gesicht ist bleich, die großen Hände schließen und öffnen sich unablässig. Er bewegt seinen Mund, ohne dass ein Ton hörbar wird. Schließlich gurgelt er: »Respektloser Flegel …«
    »Einen Moment, mit Beschimpfungen kommen wir hier nicht weiter«, Peter gibt sich wenig Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. »Mir scheint, dass einiges dran ist an dem, was Jonathan vorgebracht hat. Niemand wird beispielsweise bestreiten wollen, dass unsere Eltern nicht daran denken, nach Israel auszuwandern, obgleich sie seit über zwanzig Jahren von zionistischer Propaganda berieselt werden. Es ist daher verständlich, wenn man nach effektiveren Wegen sucht. Der Plan, sofort zu handeln, erscheint mir zumindest einen Versuch wert. Ich schlage deshalb alserste Maßnahme vor, dass die ›Sinai‹ sogleich 500 Mark für Israel spendet.«
    »Ich finde Peters Idee klasse und bin dafür, dass wir schon morgen das Geld nach Israel an die zionistische Organisation schicken«, trompetet Carlo.
    »Das ist kein schlechter Vorschlag. Fragt also bis zum nächsten Mal eure Eltern, ob sie

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