Rubinsteins Versteigerung
Absolut zwecklos! Ich bin zu schwach für euch, auch für dich. Das ist mir spätestens durch dieses Gespräch klar geworden. Du würdest mich vollständig beherrschen. Das würde mir wenig ausmachen, aber es würde dann doch alles scheitern – an unseren Eltern und an der Vergangenheit. Bitte, lass uns in Frieden auseinandergehen. Und noch etwas: Danke! Danke, Jonathan, für alles. Trotz allem bin ich sehr froh, dich kennengelernt zu haben. Mach’s gut.« Sie küsst mich auf die Wange, reißt die Tür auf und springt heraus.
»O. k. Warte, ich gebe dir dein Zeug.« Ich reiche ihr die Tasche vom Rücksitz durch die offene Tür. »Servus. Lass es dir gutgehen, Suse.« Meine Stimme ist rau.
»Tschüss, Jonathan.« Sie winkt kurz, dann wendet sie sich um und verschwindet hinter der Haustür.
Ich und zu stark! Warum begreift sie nicht, wie sehr ich sie brauche?
EIN DEUTSCHER JUDE
Zu Hause werfe ich mich aufs Bett. Ich habe zu nichts mehr Kraft, bin wie gelähmt. Ich spüre schneidenden Schmerz in meinen Gliedern. Mein Nacken ist verkrampft. Zunehmender Druck auf meiner Brust hindert mich am freien Atmen. Mir wird immer kälter. Meine Zähne klappern.Das Zittern breitet sich auf Arme und Beine aus, ich kann es nicht unterdrücken. Es schüttelt mich, ich weine. Endlich! Endlich kann ich heulen. Jetzt, da alles verloren ist, kann ich heulen.
Jahrelang waren der Deutschenhass und mein unruhiger Schmock meine unerschöpflichen Energiequellen. Israel und eine Geliebte sollten mich erlösen.
Da tauchen Suse und Frankfurter auf, nehmen mir meinen Hass und meine Begierde. Prompt raubt mir Esel Suse. Wofür ich gelebt habe, ist dahin – Israel und Suse. Mir bleiben Deutschland und Esel.
Wie immer werde ich schließlich tun, was Esel will: studieren und heiraten. Eine jüdische Frau natürlich – die mich bald so weit haben wird wie Esel Fred. Fehlen nur noch ein neurotisches Kind wie ich, das mich dann ordentlich vermöbelt, und irgendein idiotischer Job, vielleicht am Bankschalter statt im Lager von »Silberfaden & Ehrlichmann«. Dann bin ich ein Versager wie Fred. Schlimmer, denn im Gegensatz zu ihm erkenne ich, wohin der Weg führt: ins Nichts.
Mich schüttelt es. Ich weine hemmungslos. Ich versuche mich zu beherrschen, werde aber immer heftiger geschüttelt und gebe winselnde Laute von mir. Wieder will ich die Kontrolle über mich gewinnen. Umsonst. Das Zittern nimmt zu. Ebenso mein Schluchzen.
Fred klopft an die Tür. »Was ist denn los?«
Ich versuche mich zu beruhigen. Es gelingt mir nicht.
»Was ist denn los mit dir?«
Ich will antworten, es geht nicht.
»Mach auf!«, schreit er.
Ich bin unfähig aufzustehen.
»Mach sofort auf! Hörst du?« Er hat Angst. Angst um mich – und Angst vor Esel.
Ich kann nur heulen.
»Wenn du nicht sofort aufmachst, schlage ich die Tür ein.«
Es ist umsonst. Ich kann nicht aufstehen.
»Mach sofort auf, sonst breche ich die Tür auf!«
Er zögert kurz, lauscht meinem Schluchzen, endlich schlägt er das Glas des Türfensters ein, greift nach dem Schlüssel, sperrt auf, stürzt auf mein Bett zu. »Was ist denn los? Was ist los mit dir?«
Ich will antworten. Ich muss, weil mir die Antwort auf seine angstvolle Frage immer deutlicher wird, bis mein Bewusstsein vollständig davon ausgefüllt ist:
Ich bin ein deutscher Jude!
Informationen zum Buch
Authentisch, rebellisch und ironisch
Rubinstein, »ein sympathischer Schlappschwanz mit genauer Beobachtungsgabe«, als deutscher Jude hin und her gerissen zwischen Israel und München, Traum und Wirklichkeit, jiddischer »Mamme« und nichtjüdischen Mädchen, lehnt sich auf gegen seine bornierten Eltern und Vorurteile, denen er »im Naziland« begegnet. Das autobiographische Erstlingswerk von Rafael Seligmann überrascht bis heute durch Realismus, Ironie und bösen Witz.
»Einundzwanzig Jahre ist er schon alt und hat sich nicht mal getraut, ,eine Frau anzusprechen‘. … Es dauert eine Weile, bis er begriffen hat, dass es außer der jiddischen Mamme und Antisemitismus noch andere Probleme auf dieser Welt gibt …«
Henryk M. Broder über Jonathan Rubinstein alias Rafael Seligmann in der ZEIT.
Informationen zum Autor
RAFAEL SELIGMANN, 1947 in Tel Aviv als Sohn deutschjüdischer Einwanderer geboren, kehrte 1957 mit den Eltern in deren Heimat zurück. Nach der Handwerkerlehre und dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg studierte er Geschichte und Politologie in München und Tel Aviv. Er schreibt Essays und Kolumnen
Weitere Kostenlose Bücher