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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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rumstehst, sieht dich sowieso jeder, der ins Klassenzimmer geht. Dann wissen sie alle, dass du dich wieder nicht reintraust. Was soll denn dieses ständige Davonlaufen? Was können mir die Typen überhaupt tun? Nichts!
    Ich öffne die Tür. Die meisten sind schon da. Sobald sie mich sehen, verstummen sie. Bedrückende Stille umgibt mich. Ich gehe zu Kraxäs altem Platz, werfe die Mappe aufs Pult und lasse mich in den Holzsessel fallen. Ich kann mir gut ausmalen, was gestern nach meiner Flucht geschehen ist. Gewiss hat sich die Taucher bemüßigt gefühlt, die »Verwerflichkeit des Antisemitismus« zu erläutern. Wann werden sie und ihre wohlmeinenden Kollegen endlich begreifen, dass sie mit diesen albernen Erklärungen so gut wie immer das genaue Gegenteil erreichen?
    Die üblichen Aufklärereien zur Judenfrage sind so ausgeleiert, dass kein Mensch mehr auf sie hört. Richtig schlimm wird es für mich, wenn im Geschichtsunterricht »die Endlösung« mit deutscher Gründlichkeit »durchgenommen« wird. Viele schämen sich, allen ist die ganze Angelegenheit peinlich, außer mir – wie es scheint. Keiner von ihnen weiß, dass ich mich dabei immer frage, hättest du als Deutscher wirklich anders gehandelt? Weißt du sicher, ob nicht auch du in die Partei oder gar in die SS eingetreten wärst?
    Davon haben die Kerle natürlich keine Ahnung. Im Gegenteil, sie halten mich für arrogant, weil ich nicht mit ihnen darüber diskutiere. Aber was soll ich antworten, wennich zum zwanzigsten Mal gefragt werde, ob es nicht doch »nur vier Millionen« waren, die »daran glauben mussten«?
    Oder ob »die ganze Vergasung nicht ein jüdischer Schwindel ist, um Geld aus Deutschland zu holen«? Werden uns die Deutschen je ihr schlechtes Gewissen verzeihen?
    In der Pause wird das Gefühl des Ausgestoßenseins spürbarer. Sogar Klaus Winterer, mit dem ich meist quatsche, wendet sich ab. Mein Hass, der mir noch gestern Abend Kraft gab, hat sich in Schwäche verwandelt. In meinen Ellbogen und in den Kniekehlen spüre ich ein Kribbeln. Wenn mich doch einer von diesen Kerlen wenigstens ansehen würde. Nichts. Als ob ich nicht existieren würde. Dabei stehe ich keine fünf Schritte von ihnen entfernt im Hof.
    Plötzlich ruft Wolfgang Pauls mit heller Stimme: »Hot oaner vun eich fuffzig Pfennig?«
    Unwillkürlich greife ich in meine Hosentasche, fische die Münze heraus und werfe sie ihm zu. Du Idiot! Hast du es wirklich nötig, dich bei der erstschlechten Gelegenheit bei ihnen anzubiedern?
    Tatsächlich greift sich Pauls das Geldstück im Reflex. Mit einem Mal aber wird ihm bewusst, dass es von mir kam. Sein Mund und die Augen weiten sich verblüfft. Im Nu fängt er sich, presst die Lippen aufeinander, während sich seine Augenbrauen zusammenziehen. Mit einer knappen Bewegung schleudert er mir die Münze vor die Füße.
    Eine bessere Gelegenheit, dich bloßzustellen, konntest du ihm nicht liefern. Jeder in der Klasse weiß, wie peinlichihm unsere frühere Freundschaft ist, seit er sich bei den Nationaldemokraten und anderen Neonazi-Cliquen herumtreibt. Der »Nationalsozialist« Wolfgang Pauls, jahrelang unzertrennlicher Freund des Judenjungen Rubinstein! Kein Wunder, dass Wolfgangs »politisches Wirken« bislang von allen in der Klasse belächelt wurde. Und du Trottel gibst ihm jetzt die Gelegenheit, den Bruch mit seiner »verjudeten« Vergangenheit vor allen zu demonstrieren. Nicht mal ein Wort verloren – nur stumme Verachtung gezeigt.
    Sind die Antisemiten selbst arme Schweine, wie mein Freund Peter ständig behauptet? Oder sind mir Typen wie Franz Bauriedl oder Wolfgang Pauls wirklich überlegen? Auf jeden Fall gelingt es ihnen, mir wehzutun, wann immer sie Lust dazu haben. Und warum? Weil sie in diesem Land zu Hause sind und wir, trotz allem Gerede, Fremde.

ZIONISMUS
    »Jonny, du kommst zu früh. Wir haben noch Vorstandssitzung. Du gehst am besten noch eine Weile spazieren.« Arale Blau wirkt ungehalten.
    »Allmählich reicht es mir aber, Arthur. Ich bin genauso Mitglied der ›Jüdischen Gruppe Sinai‹ wie du. Wer gibt dir überhaupt das Recht, mich rauszuschmeißen?«
    »Aber Jonathan, niemand will dich rausschmeißen. Du bist einfach viel zu früh gekommen, über eine Viertelstunde. Und wir sind eben noch mitten in der Vorstandssitzung, das ist alles.« Arale lächelt verschmitzt, überlegen.
    Reiz mich nur, du Schwein. »Ihr habt eine Vorstandssitzung, na und? Mich würde auch interessieren, was ihr beratet.«
    Sein Lächeln wird

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