Rubinsteins Versteigerung
Scheiß habe ich gehabt«, brülle ich.
»Ich verstehe dich nicht. Wieso hast du immer Ärger damit? Der Aaron Blau und der Herrschi Bierstamm leben doch auch hier und sind zufrieden.«
»Du meinst wohl Arthur und Heinz? Diese feigenHunde trauen sich doch nicht mal, ihre jüdischen Namen zu tragen. Pass auf, demnächst werden sie sich Adolf und Horst nennen, damit nur ja niemand auf die Idee kommt, dass sie keine Arier sind. Aber es nützt ihnen alles nichts! Glaube ja nicht, dass sie weniger gehänselt werden als ich. Später werden sie sich bestimmt ihre krummen Nasen gerade operieren lassen. Vielleicht hilft ihnen das.«
»Du redest wie ein Asozialer.«
»Bin ich auch. Als Jude gehöre ich nicht zu dieser Gesellschaft.«
»Und außerdem sprichst du wie ein Nazi. Als ob alle Juden krumme Nasen hätten! Schau doch deinen Vater an. Der ist blond und blauäugig.«
»Und hat auch einen Gutteil germanischer Blödheit in sich.«
»Gott, du Gerechter, wie sprichst du über deinen Vater?«
»Wie er es verdient! Die meisten Jidn machen hier wenigstens ordentlich Geld. Auch die Blaus und die Bierstamms. Aber unser Friedrich rackert sich für die paar Kröten täglich zehn Stunden im Lager von ›Silberfaden & Ehrlichmann‹ ab. So einen tollen Posten hätte er auch in Israel ergattern können. Allerdings wäre er dort nie zu einem eigenen Auto gekommen, nicht mal zu dem vom Führer persönlich so geliebten Volkswagen. Aber sogar davon hat er nichts. Denn Friedrich kann nicht mal richtig Auto fahren. Hat immer eine feuerrote Birne, wenn er hinter dem Steuer sitzt, der Zwerg.«
»Gott im Himmel, wie redest du über deinen eigenen Vater? Hast du dir schon mal klargemacht, dass dich dieser ›Zwerg‹ seit über zwanzig Jahren ernährt? Dass er täglichschuftet, damit du zu essen hast, dich kleiden kannst und ein Dach über dem Kopf hast?«
»Die Platte kenne ich auswendig. Ich schulde euch ewigen Dank. Einen Scheiß schulde ich euch, wenn du es genau wissen willst. Dass Eltern ihre Kinder ernähren, ist selbstverständlich. Auch eure Eltern haben euch ernährt.«
»Aber wir waren dankbar.«
»Jetzt ist es aber genug! Wenn du nicht sofort deinen Rand hältst, werde ich bösartig.«
»Das möchte ich mal erleben.« Ihre Augen blitzen.
»Kannst du sofort! Ich warne dich, Esel. Wenn ich noch ein Wort von dir höre, dann explodiere ich.«
»Dann explodier doch! Meinst du, dass ich vor dir Angst habe?«
»Ist mir egal, ich gehe ins Wasser.« Ich schiebe sie zur Seite und gehe ins Bad.
»Aber das Essen wird doch kalt.«
Ich verriegele die Tür, lasse Wasser in die Wanne laufen, während ich mich ausziehe. Das Gebrüll hat mir gut getan. Und jetzt ein heißes Bad. Ich muss den ganzen Dreck abwaschen, den aus der Klasse und den aus dem Puff.
Ich steige in die Wanne. Das heiße Bad beruhigt mich. Ich lasse durch die Brause erneut Wasser ein.
»Warum duschst du in der Wanne? Du überschwemmst das ganze Bad.«
»Wenn du jetzt nicht sofort deinen Mund hältst, komme ich so, wie ich bin, raus und werfe dich mitsamt deinen Klamotten in die Wanne.«
Ich steige schwer aus dem Wasser.
»Spritz nicht alles voll!«
»Ich spritze, so viel ich Lust habe.« Und womit ich Lust habe.
»Dann musst du aber auch gefälligst das Bad putzen.«
»Dich werde ich verputzen, wenn du nicht bald ruhig bist.«
»Wie sprichst du mit deiner Mutter?«
»Na warte!« Ich reiße die Badezimmertür auf und stürze wassertriefend auf Esel zu.
»Bist du meschugge, du wirst dich noch erkälten. Trockne dich sofort ab.«
»Ganz im Gegenteil. Ich werde auch dich nass machen.«
»Gewalt geschrien! Mein Sohn ist nebbich vollkommen meschugge geworden.«
Immerhin, sie flieht in ihre Küche. Ich stapfe in mein Zimmer, werfe mich aufs Bett und ziehe mir die Bettdecke über die Ohren. Nach einer Weile fühle ich eine angenehme Wärme in Armen und Beinen.
Weshalb habe ich mich vom Bauriedl so fertigmachen lassen?
Weshalb passiert mir das immer wieder?
Weil ich eine Mimose und Heulsuse bin. Aber damit ist jetzt Schluss. Statt Tränen und verletzter Gefühle gibt es jetzt nur noch kalten Hass – auf die Deutschen!
So, jetzt bin ich genug rumgelegen. Ich ziehe mich rasch an, stürme aus dem Zimmer.
»Wohin gehst du? Du kannst mit den nassen Haaren nicht hinaus. Du wirst dich noch erkälten.«
»Wenn schon, dann darfst du mich pflegen.« Ich werfe die Wohnungstür zu.
KLASSENBANN
Irgendwann musst du ja doch hinein. Wenn du hier im Gang
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