Ruby und Niall
nur selten gab und organisierte nette kleine Weihnachtsfeiern. Die samstäglichen Trinkgelage waren ihm ein Dorn im Auge, aber dagegen konnte er nichts tun, denn sie lagen außerhalb der Arbeitszeit.
"Wer hat dir das Haar gefärbt?", fragte Ruby. Sie packte ihr Taschenbuch in die Manteltasche, hüpfte einmal auf der Stelle, um zu hören, ob sie ihr Schlüsselbund eingesteckt hatte. Ethan packte seinen Hintern auf den Bürostuhl, drehte sich einmal um die eigene Achse und erklärte: "Das war der Mexikaner. Er wollte was ausprobieren und ich brauchte einen neuen Haarschnitt. Gefällt's dir?"
Der Mexikaner war Friseur und hatte offensichtlich kein Vertrauen in die eigene Handwerkskunst. Er probierte alles erst mal an seinen Mitbewohnern aus, bevor er an seinen Kunden herumschnippelte.
"Zieh dir die Mütze drüber", sagte Ruby. Sie winkte zum Abschied, lief durch die menschenleere Vorhalle und über den Busparkplatz. Dort standen noch zwei Überlandbusse, einer nach Bangor und einer nach New Hampshire. Sie winkte zu den Fahrern hinüber.
Im 24-Stunden-Supermarkt kaufte sie ein paar Lebensmittel, stand bei den Drogerieartikeln und überlegte, sich Blondierungscreme zu kaufen, um Ethan zu ärgern. Sie würde es vermutlich bereuen, ihr naturrotes Haar zu färben, aber es würde Ethan grün anlaufen lassen. Allerdings konnte er immer noch behaupten "Ich hatte die Farbe zuerst" und deshalb legte sie die Creme zurück ins Regal. Das Geld legte sie besser in Kaffee an. An der Kasse wartete sie, bis die Schlafmütze von Kassiererin endlich den Schlüssel wieder gefunden hatte, und entdeckte dabei neben dem aktuellen Kinoprogramm in Norway das Plakat einer Kuriositäten-Wanderausstellung. Auf dem Plakat waren die gezeichneten Wunder abgebildet, die es zu sehen gab: verwachsene Tiere, ob tot oder lebendig ging nicht aus den Zeichnungen hervor, extrem große und kleine Menschen, ein Mann, der angeblich Eisenstangen verbiegen konnte, eine Yeti-Frau, angeblich zwei Meter groß und direkt aus dem Himalaya.
"Ach du meine Güte", sagte Ruby. Sie sah genauer hin und dachte, dass die Yeti-Frau mit ihrer Mutter verblüffende Ähnlichkeit hatte. Das ganze Plakat war furchtbar billig und schlecht gemacht, man konnte sehen, wo die schreiend bunten Texte ausgeschnitten und aufgeklebt worden waren, aber mit Sicherheit drängelten alle Kinder der Umgebung ihre Eltern, sich diese Dinge ansehen zu wollen.
Alles gezeichnet, weil die untereinander die Kostüme tauschen, dachte Ruby, und sie kaufen auf den umliegenden Farmen die fünfbeinigen Kälber und Schildkröten mit zwei Köpfen auf.
"Ich hab das Plakat zu spät angeklebt", sagte die Kassiererin. Sie hatte endlich den Schlüssel gefunden, entsperrte die Kasse und tippte Rubys Einkäufe ein, "die sind schon letzte Woche weitergezogen. Der Chef hat's hier unter den Tisch gelegt, damit ich es aufhänge und ich habs erst heute beim Aufräumen wiedergefunden. Schade, ich wäre mit meinen Jungs hingegangen."
"Sie hätten was fürs Leben gelernt", sagte Ruby.
Auf dem Weg nach Hause traf sie nur wenige Passanten, eine alte Frau kam ihr entgegen und wie jedes Mal, wurde sie von ihrem nervigen kleinen Köter verbellt. Der Hund hatte eine Stimme wie eine hochgedrehte Kreissäge und trug ein kariertes Hundejäckchen.
Ruby lebte noch immer in ihrer Zwischenlösung; ein möbliertes Zimmer im Haus der Olsons. Das Haus lag in der vernachlässigten Ecke von Winslow, aber die Olsons waren nette Leute und ertrugen es mit Geduld, wenn Ruby mit der Miete in Verzug war.
Sie waren Bekannte von Richard Golightly und hatten sie auf seinen Vorschlag hin als Mieterin aufgenommen, als sie damals mit einem Koffer und einer dicken Reisetasche in Winslow angekommen war. Ursprünglich hatte sie in Winslow nur eine Fahrkarte kaufen wollen, aber das "Aushilfe gesucht" Schild hatte sie überredet, für einige Zeit in dem Nest zu bleiben. Richard hatte sich als guter Chef präsentiert, ihr den Job auf Probe gegeben und das Zimmer vermittelt. Er hatte nie gefragt, wo das verheult aussehende rothaarige Mädchen ursprünglich hingewollt hatte.
Ihre Eltern waren in New Jersey in einem Wohnwagenpark gelandet und ihre ältere Schwester Helen hatte sich in Boston niedergelassen. Ruby vermied es, die Familie zu oft zu sehen, sie wollte sich nicht mehr als einmal im Jahr anhören müssen, was zum Teufel sie in einem winzigen Kaff in Maine zu suchen hatte.
Ruby, die doch immer etwas klüger und in der Schule besser als ihre Schwester
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