Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruby und Niall

Ruby und Niall

Titel: Ruby und Niall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Recht
Vom Netzwerk:
angenommen und einer war bereits vor dem Nachtisch verschwunden. Angeblich hatte er einen dringenden Anruf erhalten, allerdings sprach es niemand aus, dass sein Handy nicht einmal geklingelt hatte. Der andere, einer von Helens Abgelegten, hatte Ruby zu einem One Night Stand zu überreden versucht. Unter normalen Umständen wäre sie nicht einmal abgeneigt gewesen, aber er war einfach nicht ihr Typ gewesen. Und einer, der schon ihre Schwester flach gelegt hatte?
    Niemals
.
Das Essen war furchtbar gewesen. Ruby wollte kein Fleisch, weil sie die Küche ihrer Mutter kannte, und bekam trotzdem die dunklen trockenen Truthahnstücke auf den Teller geknallt.
Alles war kalt geworden, weil man sich nicht darauf einigen konnte, ob man in der Küche oder im Esszimmer essen wollte, als wenn das in einem Trailer einen Unterschied gemacht hätte. Ruby mochte sich nicht unterhalten, musste trotzdem ständig Fragen beantworten, die sich im Laufe des Abends wiederholten und sich in beißende Vorwürfe verwandelten. Zu dem Festtagsessen gab es Dosenbier, das später von den Gästen restlos weggesoffen wurde. Ihr Vater sagte den ganzen Abend keinen Ton. Helen behauptete, sie sei wieder in eine größere schönere Wohnung gezogen und nächstes Jahr würde sie sich endlich nach einem Haus umsehen. Ruby konzentrierte sich auf ihre zähen Süßkartoffeln, ihre Mutter bekam glänzende Augen bei der Vorstellung, ihre Älteste würde in ein richtiges Haus ziehen. In einer ihr üblichen Geste warf sie die Hände um sich und sagte: "Ein Trailer ist auch eine Art Haus, nicht wahr? Aber ein großes schönes Haus ist schon was anderes. Wenn es abbezahlt ist. Und wenn das Dach ordentlich ist. Ihr wisst ja, was wir für Ärger mit dem Dach hatten. Und euer Dad hat endlich den Abfluss repariert. Wer wird bei euch die Reparaturen durchführen, Helen?"

"Du könntest hier direkt nebenan wieder einziehen", sagte Helen an Ruby gewandt, "der Stellplatz ist frei geworden, wie ich gesehen habe."
"Jederzeit", rief ihre Mutter, "wir können uns schon mal nach einem schönen Trailer umsehen."
"Wirst du uns in dein Haus einladen?", erwiderte Ruby gleichgültig, "wir kommen gerne mal nach Boston. Übers Wochenende, vielleicht."
Ihre Mutter war gleichermaßen begeistert, verstand überhaupt nicht, dass Ruby und Helen sich gegenseitig die Messer in die Rippen stachen. Dann waren die Freunde eingetroffen und der Ausgang des Abends hätte zwanzig
    stand up comedians
mit Stoff für die nächsten Shows versorgt. Hätte Ruby nicht auf den Bus am nächsten Morgen warten müssen, hätte sie sofort ihre Tasche gepackt. Helen war mit ihrem stahlblauen Toyota angereist, sie allerdings dachte nicht an eine verfrühte Abreise.

    Nie wieder Thanksgiving
, dachte Ruby, stapfte nach Hause und freute sich auf den heimlichen Joint am offenen Fenster, sobald sie ihre Zimmertür hinter sich abgeschlossen hatte. Erst am nächsten Morgen schaltete sie ihr Handy wieder ein. Vier verpasste Anrufe ihrer Mutter.

Niall

Er steckte seit vier Tagen in dem Eisbärenfell. Weil er nicht wusste, wo er hin sollte, blieb er im Busbahnhof und hoffte, irgendwie an Geld für eine Fahrkarte zu kommen. Er war nicht aus einem Zoo geflüchtet, er hatte in der Kuriositätenausstellung gearbeitet, die Winslow längst wieder verlassen hatte. Es hatte einige Diskussionen mit dem Patron der Truppe gegeben und Niall hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen.
Die Herumzieherei mit der Wanderausstellung war ganz lustig gewesen, nicht aber die Tatsache, dass er trotz der Zusage auf Wochenlohn nur selten bezahlt worden war. Meistens hatte der Patron ihn damit abgespeist, dass die Einnahmen zu niedrig gewesen seien und er auf seinen Lohn noch einmal warten müsse. Außerdem hatte er schließlich Kost und Logis frei, da solle Niall das mit der Bezahlung nicht zu eng sehen. Der Patron hatte gewusst, dass Niall nirgendwo anders hin konnte und hatte das schamlos ausgenutzt.

Er saß im Busbahnhof, legte sein gebrochenes Bein hoch und ließ den Tag an sich vorüberziehen. Meist schlief er, obwohl das in der Wartehalle verboten war, denn er musste die ganze Nacht, während die Halle geschlossen hatte, durch Winslow laufen, um sich warmzuhalten. Das Bärenfell mochte warm aussehen, war es aber nicht wirklich, weil der Wind durchzog. Es war ein Kostüm, kein Mantel. Kommentare ignorierte er. Einer der Polizisten war lachend an ihm vorbeigegangen, hatte ihn wohl für einen durchgeknallten Eishockeyfan gehalten. Es war dem

Weitere Kostenlose Bücher