Ruchlos
den Stuhl mir gegenüber, verzog die Mundwinkel beim Versuch, den Schmerz zu unterdrücken.
Ja, dachte ich, er hatte recht. »Heute Abend. Jetzt will ich noch schnell bei Hantzsche vorbei und dann habe ich einen Termin.« Ich stand auf und stellte meine Tasse auf die Spüle. Als ich an Andy vorbeikam, griff er nach meinem Arm.
»Kirsten, du darfst nichts mehr unternehmen wegen der Faschos, bitte.«
»Lass mich los!« Er hielt mich so fest umklammert, dass es wehtat. »Ich unternehme nichts. Aber der Rest der Welt. Es war gestern in den Nachrichten.«
»Wenn du bloß nichts machst.« Er ließ mich los.
Irritiert schüttelte ich den Kopf. »Bis heute Abend.«
*
Im Foyer des Polizeipräsidiums lief ich direkt in Kommissar Hantzsche hinein. Für seine Verhältnisse geradezu dynamisch und energiegeladen begrüßte er mich.
»Ihr Gefühl war richtig. Soeben komme ich von der Obduktion. Heinz Wachowiak ist mit einem Kissen erstickt worden.« Die Aussicht, am Anfang eines Falles zu stehen, verjüngte ihn um Jahre. »Ich wollte mir gerade ein Frühstück gönnen. Begleiten Sie mich?«
Das ungewöhnliche Angebot, die Aussicht darauf, Untersuchungsergebnisse aus erster Hand zu erhalten, holte mich aus meiner grüblerischen Stimmung.
»Vor einer Obduktion esse ich nie etwas. Ich kenne das ja nun lange genug, aber ich werde mich nie an den Anblick gewöhnen.«
Hantzsche war in Plauderstimmung, das hatte ich noch nie erlebt. Wir betraten die Polizeikantine.
»Dafür brauche ich nun etwas Handfestes. So was, was mir der Arzt verboten hat.« Er ließ sich gebratenen Speck, Spiegeleier, Toast und Kaffee geben, scherzte mit der grauhaarigen Frau hinter der Wärmetheke über Cholesterinwerte und Laboruntersuchungen, runzelte die Stirn, als ich lediglich eine Tasse Tee nahm.
»Wollen Sie mir ein schlechtes Gewissen machen?«
»Würde es funktionieren?«, fragte ich zurück und dachte, dass das genau der Ton war, den Andy und ich immer gehabt hatten. Niemals hatten mich seine vielen kleinen Unzulänglichkeiten wirklich gestört, sie gehörten schlicht zu ihm. Was war passiert? War meine Liebe abhandengekommen?
»Kaum«, entgegnete der Kommissar und machte sich über seine Mahlzeit her.
»Also wurden Faserspuren gefunden?«, fragte ich mit dem Wissen aus unzähligen Filmen.
Hantzsche nickte mit vollem Mund. »Eine leichte Übung für die Kollegen. Etwas, was die Spurensicherung mit ein bisschen Glück schon am Tatort entdecken kann, wenn es eine gibt. Ihr Verdienst, dass wir das nachgeholt haben, Frau Bertram.«
Ein solches Lob von dem Kommissar war wie ein Ritterschlag, und dankbar fühlte ich mich von meinen Privatproblemen abgelenkt.
»Wie geht es jetzt weiter?«
»Sobald ich meine Cholesterinwerte hochgetrieben habe, stelle ich den Antrag auf Haftbefehl für Ronnie Meyersfeld. Herr Ingram sagte, er habe bereits zugegeben, an dem Nachmittag bei seinem Großvater gewesen zu sein, sogar, dass er ihm Geld entwendet hat. Mal sehen, ob das alles war.«
»Hmm.« Ich trank einen Schluck Tee. »Sie meinen, dass Herr Wachowiak ihm Vorhaltungen gemacht hat, weil er sich mit den Nazis eingelassen hat?«
»Genau. Übrigens wohl tatsächlich mit diesem ›Sturmtrupp‹, soweit ich das gestern Nachmittag herausfinden konnte. Und die Angreifer von Herrn Rönn gehören auch zu dem ehrenwerten Verein. Sie haben mitbekommen, dass die Kollegen die Angelegenheit trotz seiner Aussage weiter verfolgen?«
»Ja, zum Glück.« Ich war froh, dass Hantzsche nicht über Andys Motive reden wollte.
»Das ist kein Glück, solch ein Angriff ist ein Offizialdelikt, da sind wir sogar gesetzlich verpflichtet, zu ermitteln. Und wenn es ein Freund war, der ihn so zugerichtet hat, dann bekommt der eine Anzeige. Sie können den Kollegen da nicht zufällig weiterhelfen?« Er lächelte.
»Bedaure, nein. Aber vielleicht kann ich Ihnen noch ein anderes Motiv für den Mord an Herrn Wachowiak liefern.«
»Erzählen Sie.« Der Kommissar hatte sein Frühstück vertilgt und hörte aufmerksam zu, als ich von den Vorwürfen gegen die Hyazinthus-Orthopädie berichtete.
»Das ist sehr vage«, meinte er und drehte seine leere Tasse hin und her. »Ich werde mich mit den drei Betroffenen unterhalten, aber das erscheint mir doch weit hergeholt.« Er ließ die Tasse los. »Keinen Kaffee mehr. Ein wenig muss man sich doch an die Anordnungen der Ärzte halten, nicht wahr?«
*
Irgendetwas störte mich an dem Szenario, das der Kommissar entwickelt hatte. Während ich
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