Ruchlos
halb acht beim Italiener in der Louisenstraße«, sagte ich, wartete seine Entgegnung nicht ab, sondern ging mit schnellen Schritten in Richtung Zeitungsgebäude. Wenngleich Martin mich für keinen aktuellen Termin eingeplant hatte, wartete doch die Arbeit, sagte ich mir selbst. Schließlich war ich nicht aus dem Archiv geholt worden, um meinem Freund hinterherzulaufen. Mein erster Impuls, Andy zur Rede zu stellen, war verflogen; geblieben war ein tiefes Misstrauen, ob der Kommissar recht hatte mit seiner Vermutung.
In der Redaktion traf ich nur Jonas Michaelis an. Freundlich nickte er mir von Martins Platz, an den er gesetzt worden war, aus zu.
»Andreas hat schon zweimal angerufen. Er wartet auf Ihren Rückruf, bei Ihnen zu Hause.«
»Warum sagt er das nicht Ingeborg?«
Der junge Mann tat so, als würde ihn meine Antwort nicht berühren. »Er wollte mit jemandem aus der Redaktion sprechen, um zu erfahren, was los ist.«
»Da waren Sie ja der Richtige.«
Den Satz sagte ich so leise, dass ich nicht sicher war, ob er ihn hörte. In jedem Fall zog er es vor, nicht darauf zu reagieren. Ich wandte mich meinem Schreibtisch zu und durchsuchte die Unterlagen, die auf dem Chaos der Pressemitteilungen verteilt waren, stellte erleichtert fest, dass Heinz Wachowiaks Notizen darunter waren. Ich legte sie zur Seite. Hantzsche hatte angeboten, sie abholen zu lassen. Dann begann ich mit den zu erledigenden Routinearbeiten.
Es dauerte keine zehn Minuten, und mein Telefon klingelte. Unsere Nummer erschien im Display.
»Andy, ich hab keine Zeit, für dich Krankenschwester zu spielen.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, legte ich auf. Direkt danach klingelte es wieder, ich ignorierte es. Jonas Michaelis stand die Neugierde ins Gesicht geschrieben, während ich darauf wartete, dass das Klingeln erstarb.
Andreas versuchte es noch einige Male. Die Kollegen bekamen mit, dass ich entschlossen war, nicht darüber zu reden, und fragten nicht nach. Dann bat mich Martin ins Chefbüro.
»Andreas hat gerade angerufen.« Ich reagierte nicht. »Er sagt, wir sollten nichts mehr zu dem Angriff auf ihn bringen. Keine weitere Erklärung. Weißt du etwas dazu?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat den Bullen gesagt, es sei alles ein Missverständnis gewesen.«
»Aber …«
Ich hob die Hände und verließ das Büro. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass es so aussehen konnte, als wenn mir nach meinem Fauxpas in der vergangenen Woche wieder ein grober Fehler passiert wäre. Voller Wut schlug ich im Flur mit der geballten Faust gegen die Wand.
*
Abends fuhr ich von der Redaktion aus direkt zu Michele, mein Handy schaltete ich aus. Ich war vor Dale da und bestellte schon ein Tonicwasser. An diesem Abend hätte ich sonst was für ein Glas Wein gegeben, aber vermutlich wäre es dann nicht bei einem geblieben und das war mir nun doch zu riskant.
»Dieser Idiot! Warum macht er das?«, fragte ich Dale, kaum dass wir uns begrüßt hatten.
»Du solltest ihn besser kennen als ich«, antwortete er, und ich dachte, dass darin genau der Verdacht anklang, den Hantzsche geäußert hatte.
Dale hatte sich für das Essen umgezogen und trug ein tiefrotes Hemd, das seine leicht gebräunte Haut betonte. Der herbe Duft des Rasierwassers, das er schon seit Ewigkeiten benutzte, lag in der Luft. Ich ärgerte mich, dass ich noch immer die Leinenbluse anhatte, die mittags schon durchgeschwitzt gewesen war. Wenigstens wusste ich, dass der enge Schnitt mir gut stand, jetzt, wo meine Brüste merklich voller geworden waren, wahrscheinlich besser denn je. Dales Blick schien auf jeden Fall zu signalisieren, dass ich ihm gefiel.
Wir bestellten, und ich konnte mich nicht gegen den Gedanken wehren, wie viel einfacher und häufig auch angenehmer mein Leben mit ihm gewesen war. Dale war besonnen und überlegt, vorausschauend und einfühlsam. Er trank einen Schluck Rotwein, lächelte mich an:
»Was denkst du?«
Ich erwiderte das Lächeln. »Was für eine Idiotin ich war, dass ich dich für diesen Chaoten hab gehen lassen.«
Er entgegnete nichts, sondern bestrich eines der kleinen Brötchen mit Kräuterbutter, biss hinein.
Mir brach der Schweiß aus und ich spürte, wie ich rot anlief.
»Dale, es tut mir leid. Vergiss, was ich gesagt habe, bitte!«
»Okay.«
Er griff wieder zum Weinglas, seine fast schwarzen Augen blickten unergründlich. Ich war froh, dass der Kellner in diesem Moment den Antipastiteller brachte. Nach einiger Zeit fragte ich Dale, worauf genau sich
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