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Ruchlos

Ruchlos

Titel: Ruchlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Baum
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auf, brachte mein Rad in den Hof und stieg hoch in den zweiten Stock.
    Andreas lag mit geschlossenen Augen auf der Couch im Wohnzimmer, neben ihm auf dem Tisch standen eine halb leere Flasche Whisky und ein Glas, in dem noch ein honigfarbener Rest schimmerte. Der Fernseher lief, gerade eben begann das ›Heute Journal‹. Als ich es abschaltete, schreckte Andy hoch.
    »Kirsten, ich hab solche Angst gehabt.« Er war kaum zu verstehen.
    »Angst gehabt? Wovor? Dass dir einer die Story wegnimmt? Oder einfach, dass du noch einen Tag lang zu einem halbwegs gesunden Leben gezwungen wirst?«
    »Um dich.« Er versuchte, sich aufzurichten, gab es schnell vor Schmerzen stöhnend auf.
    »Ach so, um mich. Natürlich, da hätte ich draufkommen können. Du bist ja immer so fürsorglich.« Es tat mir leid, kaum dass die Worte heraus waren. »Sorry. Komm, ich helf dir ins Bett.«
    Sein Blick signalisierte, dass ihm der Vergleich mit Dale bewusst war. Er sagte nichts, unterdrückte jede Regung, als er ohne meine Hilfe aufstand, schwankte, sich wieder fing und in Richtung Schlafzimmer torkelte.

9 . KAPITEL
    Ich schaltete die Nachrichten wieder ein, nur, um eine Geräuschkulisse zu haben, ließ mich auf das Sofa fallen. Das Whiskyglas verströmte einen intensiven Geruch, den ich nicht ertrug. Zuerst wollte ich es in den Topf der Yucca Palme vor der Balkontür entleeren, dachte dann aber, dass die ohnehin dahinkümmernde Pflanze das bestimmt nicht gut vertragen würde. Ich trug Flasche und Glas in die Küche, goss den Rest Flüssigkeit in den Ausguss.
    Auf einmal wurde ich von Angst überwältigt, dass die Dinge sich entwickelten, ohne dass ich sie kontrollieren konnte. Vermutlich war ich derzeit einfach hormongesteuert, und zwar, anders als früher, als meine Sinne auf den abenteuerlustigen, unberechenbaren Andy angesprungen waren, mit Zielsetzung Nestbau. Aber ich lebte mit Andreas zusammen, er war der Vater dieses kleinen Wesens in mir, und vielleicht änderte er sich auch, wenn ich ihm endlich davon erzählte.
    Ich goss ein Glas Saft ein und ging zurück ins Wohnzimmer, wo zu meinem Erstaunen gerade unser Verlagsgebäude auf dem Bildschirm erschien.
    ›… wurde in den frühen Morgenstunden mit neonazistischen Parolen besprüht. Nach Aussage des Chefredakteurs Hartmut Müller steht die Straftat vermutlich in Zusammenhang mit einem Bericht der Lokalredaktion über gewalttätige Hooligans der SG Dynamo. Bei den Recherchen dazu wurde ein Mitarbeiter der Zeitung von sogenannten Fußballfans angegriffen und schwer verletzt. Er befindet sich zurzeit im Krankenhaus. Die Polizei ermittelt in beiden Fällen. Sachsen ist in der Vergangenheit mehrmals in Zusammenhang mit Rechtsextremismus in die Schlagzeilen geraten, bei den Hooligans des ehemaligen Vorzeigevereins Dynamo sind Neonazis keine Seltenheit. Und jetzt weiter mit den Börsendaten.‹
    Ich stellte den Apparat leiser. Gut. Was auch immer Andy mit seinem seltsamen Verhalten bezweckt hatte, es hatte nicht funktioniert. Die Angelegenheit war öffentlich, die Polizei ermittelte weiter und Müller stand hinter dem, was ich berichtet hatte, glaubte nicht an ein Missverständnis.
    Als die erste Szene des Montagskrimis ein dunkles Parkhaus zeigte, durch das eine junge Frau irrte, spürte ich, dass meine Nerven reichlich angespannt waren. Ich ertrug den Anblick nicht und griff zur Fernbedienung, zappte kreuz und quer durchs Programm, bevor ich beschloss, zu Bett zu gehen. Dort lag Andreas, wie ein Toter hingestreckt. Er hatte es nicht mehr geschafft, sich auszuziehen, sondern anscheinend nach Öffnen des Jeans-Reißverschlusses und Herauszerren des T-Shirts aufgegeben. Oder er war einfach darüber eingeschlafen.
    *
    Am nächsten Morgen kam er genau so in die Küche, als ich gerade mein Frühstück beendet hatte. Die Gesichtshaut schimmerte weiß wie der Verband über Schläfe und Wange, die blonden Bartstoppeln wirkten wie ein Schmutzfilm. Die in der vergangenen Woche lang gewordenen Haare klebten fettig am Kopf. Vergeblich versuchte er, mit seiner eingegipsten Hand die Hose zu schließen.
    »Morgen. Kirsten, wegen gestern.«
    »Nicht jetzt, ja?« So sehr ich mich auch dagegen wehrte: Ich empfand seinen Anblick als abstoßend. Schon als ich wach geworden war, hatte der Geruch, den er ausströmte, die Mischung aus Schweiß und Alkohol, bei mir Übelkeit hervorgerufen. »Soll ich dir mit dem Reißverschluss helfen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen reden.« Langsam setzte er sich auf

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