Ruchlos
Glück klingelte in diesem Moment sein Telefon.
»Bevor Sie irgendetwas über mich schreiben, bekomme ich jedes Wort zu sehen, das ist ja wohl klar!«, raunzte ich, dann trat ich den Rückzug an meinen Platz an.
*
Martin hatte mir für den Nachmittag etliche Termine zugeteilt, über zwei Stunden konnte ich jedoch noch frei verfügen. Ich nahm meine Notizen, begann das Firmenporträt der ›VitalMed‹ zu schreiben, brach wieder ab.
Da war etwas faul, war ich mir sicher, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was. Ich rief bei uns zu Hause an und war erleichtert, als Andy sich nach dem zweiten Klingeln meldete. Im Hintergrund hörte ich Johnny Cash.
»Hi, du Vorzeigejournalist, was machen die im Dienst der Aufklärung lädierten Rippen?« Ich hatte meinen Stuhl so weit herumgedreht, dass ich Jonas Michaelis sehen konnte und in seine Richtung sprach. Er war in Unterlagen vertieft und reagierte nicht. Ich schwenkte wieder zurück.
»Wollen sehr aufrecht gehalten werden. Ich glaube, ich habe noch nie so gerade am Schreibtisch gesessen. Was ist bei dem Unternehmen rausgekommen?«
»Reichlich wenig.« Ich berichtete und versuchte, die Ungereimtheiten deutlich zu machen. Andreas verstand, was ich meinte. Aber er war ja genauso unlogisch wie ich. Wahrscheinlich würde unser Kind ein launenhaftes, unberechenbares Wesen sein, nicht in der Lage, strukturiert zu denken.
»Seit wann gibt’s die Firma?«
»199°.«
Er gab einen unzufriedenen Laut von sich.
»Worauf willst du hinaus?«
»Valerie Ehrhardt hat vor sechs Jahren ihren Dienst als Chefärztin angetreten. Das hab ich aus den Artikeln auf deinem Stick. Ich dachte, es gibt vielleicht eine Übereinstimmung.«
»Doch, die gibt es. Warte.« Ich schlug eine Seite in meinem Notizblock um. »Seit sechs Jahren fertigt ›VitalMed‹ auch künstliche Gelenke, vorher nur Zahnprothesen.«
»Ha, also doch!« Ich hörte, wie Andy aufstand und ins Wohnzimmer ging. Die tiefschwarze Version von ›Bridge over troubled Water‹ wurde lauter, erstarb dann. »Im Archiv findet sich übrigens nichts zu der Firma. Ich hab heute Morgen als Erstes einen Auftrag abgegeben. Sylvia Nordheim vermisst dich, schöne Grüße.«
Die Ärmste. Ich hoffte, ihre kranken Kollegen waren zurück in der Abteilung. Andreas’ Schritte führten ihn in die Küche, zur Kaffeemaschine.
»Frau Dr. Ehrhard kommt aus Berlin«, sagte er nach einem hörbaren Schluck. »Zumindest hat sie dort studiert und gearbeitet, bevor sie herkam. Passt das etwa auch?«
»Der Firmengründer stammte aus Heidelberg, über den Brueckner weiß ich nichts. Aus dem Osten ist er nicht, würde ich sagen. Und Berlin höchstens gestreift. Nicht annähernd so lange wie du.« Andy hatte sieben Jahre in der heutigen Hauptstadt gelebt und noch immer eine leichte Färbung in der Stimme.
»Vorname?«
»Ulrich.«
»Ich schau mal, ob ich irgendetwas rausbekomme. Außerdem gibt es noch diesen Herrn Arndt.« Leise drang das Klicken der Tastatur durch den Telefonhörer. »Hast du sonstige Namen?«
Ich verneinte. »Du arbeitest aber nur von zu Hause aus, ja?«
»Großes Indianerehrenwort: Ich beweg mich nur im Datennetz, wenn mir auch etwas reale Bewegung guttun würde. Bekomme ich die Erlaubnis, für ein schönes Abendessen einzukaufen?«
Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel nach oben zogen. » Ungern. Außerdem diniere ich heute Abend bei den ›Alten Meistern‹. Die Dresden-Touristik stellt ihr neues Vermarktungskonzept vor.«
Andy gab ein unwilliges Geräusch von sich.
»Eigentlich ging die Einladung an dich, klar. Martin wollte mir wohl was Gutes tun – und ich vermute, er macht Diät.« Ich musste lachen, als ich Sandras Blick auffing, die anscheinend zugehört hatte. »Was?«
»Mach das nicht. Sag Martin, er soll gehen.«
»Ich werde doch nicht seine Versuche, abzunehmen, sabotieren.« Sandra schaute weg.
»Kirsten, ich meine es ernst. Du sollst nicht abends allein durch Dresden laufen.«
»Der Termin ist um sieben. Da ist doch noch alles voller Menschen.«
»Und danach?«
Ich antwortete nicht. Andy hatte es geschafft, mich mit seiner Angst anzustecken. Bis gerade eben war ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass ein früher Abendtermin mitten in der historischen Altstadt eine Gefahr bedeuten könnte, nun stellte ich mir vor, wie der Theaterplatz nach dem Essen aussehen würde. Ziemlich leer.
»Ich gehe selbst«, sagte Andreas mit belegter Stimme.
»Tust du nicht. Ich nehme mir für den Rückweg ein
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