Ruchlos
Tag wie im November. Scheußlich.
»Ha, ha. Vielleicht hätte ich doch lieber Andreas mitnehmen sollen.«
»Weil der ja auch immer so logisch ist? Du erinnerst mich übrigens gerade an ihn, so wie du dich verrennst.« Dale klang noch immer ruhig und überlegt.
»Ich verrenne mich überhaupt nicht, ich lasse mich bloß nicht für dumm verkaufen. Wieso, meinst du, wusste Brueckner von den Beschwerden? So detailliert?«
Wir rollten wenige Meter vor und kamen wieder zum Stehen.
»Das kam mir auch ein bisschen seltsam vor, das gebe ich zu, aber insgesamt ist es zu wenig.« Dale zog seine Zigarettenschachtel aus der Jackentasche. »Stört es dich?«
»Ich kotz dir bloß ins Auto, sonst nichts.« Danach musste ich selbst über meinen Schlechte-Laune-Anfall lachen. »Tut mir leid. Aber den Geruch ertrage ich zurzeit wirklich nicht.«
»Schon klar. Herzlichen Glückwunsch übrigens.« Er hatte die Zigaretten wieder eingesteckt. »Was hat Andreas gesagt?«
»Er weiß es noch immer nicht.«
»Irgendein spezieller Grund?« Dale blickte auf die Straße. Er hatte den Gang eingelegt. Bei der nächsten Grünphase würden wir es über die Kreuzung schaffen.
»Nein, es hat sich einfach nicht ergeben.«
»Schau mal.« Nach der Ampel ging es zügig voran. »Selbst wenn die ›VitalMed‹ gemeinsam mit dem Krankenhaus Patienten betrügt, wo ist das Mordmotiv?«
»Dass Heinz Wachowiak das in Erfahrung gebracht und damit gedroht hat, an die Öffentlichkeit zu gehen«, sagte ich. » Er war schließlich bei uns und keiner weiß, was er wollte.«
»Eben. Er war schon Tage vorher bei euch. Das passt nicht, Kirsten.«
Die bunten Regenschirme auf den Bürgersteigen waren die einzigen Farbtupfer in dem verhangenen Licht.
»Aber er hat uns nicht erreicht. Es war also noch rechtzeitig genug, ihn zum Schweigen zu bringen«, beharrte ich.
Dale blieb skeptisch. »Was hat denn diese Frau Gärtner gesagt, wie Herr Wachowiak auf die Idee gekommen ist, dass sie ihr ein minderwertiges Gelenk eingesetzt haben?«
Es fiel mir nicht ein. Hatte sie dazu etwas gesagt? Verdammt, waren das Gedächtnisaussetzer? Möglichst cool zuckte ich die Achseln. »Muss ich noch mal nachfragen. Ich geb dir dann Bescheid.«
*
Dank des frühen Termins war ich wieder nicht bei der Konferenz gewesen, nun traf ich direkt im Flur auf Martin, der am Kopierer stand und mich in Andys Büro bat.
»Kirsten, ich will weiß Gott nicht den Chef rauskehren, aber du musst dich ein bisschen mehr um unsere Abläufe kümmern.«
»Was ist denn mit dir los? Ich schreib ein Firmenporträt über den Laden, bei dem ich gerade war. Und ansonsten sind wir doch bis auf Andreas wieder voll besetzt!«
Martin war die Situation sichtlich unangenehm. Ich hätte ausrasten können. Hackten heute alle auf mir herum?
»Es darf einfach nicht so aussehen, als wenn du irgendwelche Privilegien hast«, erklärte er unglücklich.
»Warte mal!« Ich stützte meine Arme auf den Schreibtisch und starrte ihn an. »Für wen könnte es denn so aussehen? Wer hat sich beschwert?«
Martin schüttelte den Kopf. »Niemand. Kirsten, mach bitte aus einer Mücke keinen Elefanten. Deine Termine liegen auf der Tastatur, ansonsten.«
Ich war schon aus dem Büro heraus, geradewegs in den Redaktionsraum hinein, auf den Platz, den Jonas Michaelis einnahm, zu.
»Haben Sie Probleme mit mir, ja?« Der junge Mann blickte irritiert von seinen Notizen auf. »Ich habe schon journalistisch gearbeitet, da haben Sie noch in die Windeln geschissen! Und solche Arbeit kann man nicht daran messen, ob jemand seinen Platz am Newsdesk«, ich drehte meine Stimme in absurde Höhen, »pünktlich einnimmt. Das hat was mit Instinkt zu tun, wissen Sie? Also, wenn Sie sich über mich beschweren wollen: nur zu. Das stört mich ungefähr so viel wie eine Fliege an der Wand.« Ich spürte, wie mir die Wut ausging, zumal Herr Michaelis komplett ruhig blieb. Wie immer sah er perfekt gestylt aus, glatt rasiert und mit einem legeren Hemd angetan, die Haare modisch verweht.
»Da haben Sie wohl etwas missverstanden«, meinte er höflich. »Ich habe lediglich gesagt, dass ich nach wie vor meine Thesis schreiben möchte und das Thema jetzt so fassen werde, dass es die Arbeit in der Lokalredaktion einschließt. Da würde ich Ihre Erfahrungen gerne einfließen lassen. Sie und Andreas sind schließlich Journalisten, wie man sie sich vorstellt.«
Machte er sich über mich lustig? »Sie meinen Dinosaurier, Auslaufmodelle?«
»Keineswegs.«
Zum
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