Rudernde Hunde
dann der Inder:
»Danke, Tiger, was sagst du, 1425,25 Kilometer geradeaus, dann nach links?«
»Nach rechts, Inder, scharf nach rechts.«
»Ah ja, rechts!«
»Scharf, ganz scharf nach rechts, sagte ich.«
»Ja, danke, Tiger, und einen schönen Tag noch!«
»Ebenfalls, Inder!«
Ich bin mir nicht sicher, daß das so ist.
Ich meine, eins weiß ich sicher, ein Tiger in Indien versteht einen anderen Tiger in Indien. Das ist ganz klar. Wenn also der eine Tiger in Indien einen anderen Tiger in Indien trifft und sagt, »he, Kollege, was machen wir, gehen wir einen trinken oder essen wir eine heilige Kuh?«, dann sagt der andere vielleicht: »Nein, ich hab keinen Hunger, aber einen trinken, keine schlechte Idee, ich hab noch eine Kleinigkeit für meine Frau zu besorgen, dann komme ich. Wo gehen wir hin? In die Rialto-Bar?«
»Okay, ich geh schon mal vor.«
Und sie treffen sich in der Rialto-Bar, trinken ein »Bier eben«, reden über das eine oder andere, über die Frauen, die Kinder, über die seltsamen Menschen vielleicht auch, die nie den Weg nach Bangkok wissen, und die heilige Kuh bleibt am Leben - und heilig.
Da frage ich mich bei der Gelegenheit, ob eine tote heilige Kuh noch heilig ist? Wer weiß das? Der Papst? Ist der für die Heiligen zuständig? Also soviel ist sicher, die heiligen Menschen waren ja im Gegensatz zu den heiligen Kühen bei Lebzeiten nicht heilig. Sie wurden erst nach ihrem Tod heiliggesprochen. Die Kühe in Indien sind aber als lebende Kühe schon heilig. Darum dürfen sie nicht gegessen werden - von Indern. Die Tiger, glaube ich, halten sich nicht an das Verbot. Ich glaube, die heiligen Kühe sind auch keine Christen, denn der Papst hätte sicher etwas dagegen, daß Kühe Christen sind. Wir würden dann ja mit jedem Rinderbraten und jeder Roulade Christen aufessen. Nein, das kann der Papst nicht dulden, und diese Gedanken führen auch zu weit.
Jedenfalls, sicher ist, ein indischer Tiger versteht den anderen indischen Tiger, darum können sie sich auch in einer Bar verabreden und miteinander einen trinken. Ob aber ein indischer Tiger eine indische heilige Kuh versteht? Da sagt vielleicht eine indische heilige Kuh zu einem indischen Tiger: »Tiger, du darfst mich nicht fressen, weil ich heilig bin.« Der Tiger versteht das aber nicht und frißt die Kuh. Oder aber, er versteht die Kuh, sagt sich aber, ob die heilig ist oder nicht, ich habe Hunger, also fresse ich die Kuh. Es könnte ja sein, daß die heilige Kuh alle Sprachen aller Tiere versteht, weil sie heilig ist und Heilige alle Sprachen verstehen. Wie der Franz von Assisi zum Beispiel. Der sprach mit den Vögeln, als er noch lebte und noch gar nicht heilig war. Erst nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen, weil er sich immer mit den Vögeln unterhalten hat. Du merkst schon, das ist alles sehr kompliziert. Und in dem Moment, wo es um heilige Dinge geht, wird es noch komplizierter. Da gehts dann auch noch um Wunder, und es heißt, daß man Wunder sowieso nicht erklären kann, weil sie ja Wunder sind, denn könnte man sie erklären, wären sie Tatsachen und keine Wunder. Wunder, heißt es, muß man glauben, Tatsachen muß man verstehen. Ich glaube also, daß Franz von Assisi mit den Vögeln gesprochen hat, ich verstehe es aber nicht. Und ich glaube nicht, daß ein Tiger in Indien einen Inder in Indien versteht, der nach dem Weg nach Bangkok fragt.
Und vielleicht will der Inder auch gar nicht nach Bangkok, sondern nach Neu-Delhi, was nämlich die Hauptstadt von Indien ist. Und es kann doch leicht sein, daß der Inder in der Hauptstadt etwas zu tun hat. Und in dem Fall, wenn der Tiger den Inder verstehen würde, würde er vielleicht antworten, »in diese Richtung« - und er würde mit der Pfote vermutlich in die Bangkok entgegengesetzte Richtung zeigen und sagen: »526,75 Kilometer, dann halb links, und dann sieht man es schon.«
Allerdings, ganz ehrlich gesagt, ich weiß nicht einmal, ob es in Indien einen Punkt gibt, von wo aus es 1425,25 Kilometer nach Bangkok und 526,75 Kilometer nach Neu-Delhi sind. Es ist das also alles Quatsch. Und Du siehst daran, wie man sich in Geschichten verheddern kann, wenn man vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, wie meine Großmutter immer sagte. Ich kenne keinen Inder, keine heilige Kuh, keinen indischen Tiger, keinen Papst und auch nicht Franz von Assisi. Und ich weiß auch nichts, fast nichts, über Indien, und ich war ja auch nie dort. Mein Großvater mütterlicherseits, der mit den vielen
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