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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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kannte die Kreditbedingungen, die mein Vater der Bank abgerungen hatte, er wußte von der Höhe der Zinsen, den Bausparvertragsprämien und von den Steuervorteilen. Und vieles mehr.
    Gut, meine Mutter hätte dem Fragenden diese Details, Preise, Grundstücksgrößen und dergleichen gar nicht sagen können. Aber auch, wenn jemand meine Mutter fragte, wie sie denn ihren Vater, der sehr früh gestorben war, in Erinnerung hätte, antwortete mein Vater: »Er war ein gräßlicher Tyrann, ein Geizkragen, kleinlich und hinterhältig, kurz: ein wertloser Mensch.« Meine Mutter schwieg, und so erfuhr ich als Kind über meinen Großvater mütterlicherseits nicht mehr als das, was mein Vater von ihm hielt, nämlich nichts.
    Erst als mein Vater gestorben war - du warst da schon auf der Welt -, begann meine Mutter zu erzählen. Notgedrungen mußte sie nun selbst auf Fragen antworten. Doch dabei blieb es nicht. Sie erzählte, kannte Geschichten, lernte es sogar, Geschichten einfach zu verändern und Spaß daran zu haben. »Mein Vater«, sagte sie eines Tages, »war ein ganz sanfter, wundervoller Mensch. Ich habe ihn als Kind sehr geliebt. Aber es zog ihn immer in die Ferne. Er wollte nicht wie meine Mutter an einem Ort bleiben. Er reiste durch die ganze Welt, lernte alle Sprachen aller Länder, in die er reiste. Und wenn ich als Kind sagte, ›Vater, wie spricht man in Kairo?‹, dann sprach er, wie man in Kairo spricht.
    Und wenn ich sagte, ›Vater, wie macht ein Krokodil?‹, dann machte er vor, wie ein Krokodil macht. Aber eines Tages kam er von einer dieser Reisen mit einer jungen Frau zurück, die er, nachdem er sich von meiner Mutter hatte scheiden lassen, heiratete. Von da an reiste er nicht mehr. Und weil er nicht mehr reiste, hatte man nicht mehr den Eindruck, daß er noch lebte.
    Wenn ich sagte, ›Vater, wie spricht man in Kapstadt?‹, dann sagte er: ›lch weiß es nicht mehr, ich habe es vergessen.‹ Und wenn ich fragte, ›Vater, wie machen die Straußenvögel?‹, dann sagte er:
    ›lch bin lange keinem Straußenvogel mehr begegnet, ich weiß es nicht mehr.‹ Ich sah ihn nur noch selten, und nach ein paar Jahren war er tot.«
    »Vater mochte ihn nicht, erinnere ich mich«, sagte ich.
    »Er kannte ihn ja nicht. Er hatte ja nur von ihm gehört, durch meine Mutter, die sehr verbittert war«, sagte meine Mutter und sprach ganz schnell von anderen Dingen. Aber sie sprach, erzählte, hatte Geschichten! Geschichten aus ihrem Leben. Und in diesen Geschichten kam mein Vater nicht vor.
    Nur einmal hörte ich sie sagen: »Ach, ich weiß noch, als mein Mann und ich das Grundstück kauften! Es war, glaube ich, 1949.
    Jedenfalls war es ein warmer, schöner Sommertag. Ich hatte mein erstes Nachkriegssommerkleid an. Wir gingen zum Notar und unterschrieben einen Vertrag. Die Kaufsumme weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, daß sich mein Mann noch nach zwanzig Jahren darüber ärgerte, daß der Preis zu hoch war, da das Grundstück überhaupt nicht im Wert stieg. Es wurde nämlich später die Straße ausgebaut, und es war sehr laut. Keiner hätte das Haus haben wollen. Ich mochte das Haus nie. Es hat uns nur Unglück gebracht, es hat unser Erspartes und mein Erbe aufgefressen, ich hasse das Haus. Das Sommerkleid habe ich neulich noch einmal in der Hand gehabt. Gott, was man damals trug!«
    Du wirst mir sicher zugeben, daß es nicht einfach ist, zu entscheiden, ob mein Vater die Geschichte dieses Hauses wahrheitsgetreu erzählt hat oder meine Mutter. Es ist völlig egal.
    Es gibt ihre Wahrheit und seine, und es kann sein, daß seine Wahrheit damals auch ihre war, und daß sie heute eine andere Wahrheit hat. Denn auch die Wahrheit ist nicht immer die Wahrheit. Die Menschen, von denen Du dir sicher bist, daß sie die Wahrheit erzählen, werden am langweiligsten sein. Die Wahrheit ist immer nur die Wahrheit dessen, der behauptet, daß die Wahrheit, die er sagt, die Wahrheit ist. Oder so.
    Ist dir übrigens schon mal aufgefallen, daß viele Menschen Tieren ähnlich sehen? Mein Onkel Karl, den du nicht mehr gekannt hast, war ein Bär. Nein, er war kein Bär. Er sah aus wie ein Bär.
    Und ich glaube, weil er so aussah wie ein Bär, benahm er sich auch wie ein Bär. Oder vielleicht sah er aus wie ein Bär, weil er sich benahm wie ein Bär. Mein Vater war ein Habicht. Meine Oma war eine Ente. Ich, sagen manche, bin wie ein Schweizer Sennenhund. Deine Mutter, glaube ich, hat das erfunden. Immer, wenn ich einen Schweizer Sennenhund sehe,

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