Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
schaue ich ihn lange an und frage mich, was hat er von mir, was habe ich von ihm, sehen wir und sind wir uns wirklich ähnlich, würden wir uns verstehen? Nun ist ein Schweizer Sennenhund nicht wie der andere. Ich weiß auch nicht, welchen oder wie viele Schweizer Sennenhunde deine Mutter kannte, daß sie zu diesem Urteil kam.
Manchmal glaube ich, sie kannte überhaupt keinen und dachte nur, die müßten so aussehen und sein wie ich.
    Sein und Aussehen. Auch das sind ja wieder zwei ganz verschiedene Dinge. Ein Mensch kann aussehen wie ein anderer Mensch oder auch wie ein Tier. Er muß aber doch nicht auch so sein. Erst wenn ein Mensch aussieht wie zum Beispiel ein Schwan, und wenn er dann auch ist wie ein Schwan, dann ist der Vergleich überhaupt erst sinnvoll. Meine Oma sah nicht nur aus wie eine Ente, sie war eine Ente. Sie gackerte wie eine Ente, sie pickte in allem herum wie eine Ente, sie watschelte wie eine Ente. Oma Ente, die Entenoma. Daß ein Mensch so aussehen oder sein kann wie ein Schwan, das glaube ich, seit ich Wanda und Wladimir kenne, nicht mehr. Ich stelle mir immer vor: Wie wäre es, wenn ich das und das wäre? Wie wäre es, wenn ich ein Schwan wäre? Wie wäre ich als Schwan? Was wäre ich für ein Schwan? Einer wie Wladimir?
    Wenn ich ein Schwan wäre, lebte ich jedenfalls auf einem schönen See, schwämme majestätisch hin und her und her und hin, wohin ich gerade wollte. Die Menschen würden mich füttern und fotografieren. Im Winter hätte ich viel damit zu tun, mich zusammen mit den Enten so viel zu bewegen, daß der See nicht zufröre. Als Schwan wäre ich immer im Freien. Ich wäre ein freier Mensch. Nein, ein freier Schwan. Brächte man mich zum Beispiel in einen Zoo, ich flöge einfach über den Zaun, zurück zu meinem See, zu den Kollegen und den Touristen, denen ich als Fotomotiv fehlen würde. Gut, im Zoo wird auch tüchtig fotografiert, aber gäbe es im Zoo einen Schwan, niemand würde ihn fotografieren. Da gibt es andere Tiere, seltenere, Pelikane, Kormorane, mit denen ich verwandt wäre, wäre ich ein Schwan. Diese Wichtigtuer unter meinen Verwandten! Nein, im Zoo möchte ich nicht leben müssen, nicht einmal als Schwan, oder besser gesagt: schon gar nicht als Schwan.
    Wenn ich zum Beispiel ein Känguruh wäre, dann lebte ich auch nicht in einem Zoo. Wie denn auch, da ich doch mit einem Sprung schon außerhalb des Zoos, auf einer belebten Straße, einem Park, einem Platz, in einer Fußgängerzone oder auf einem Hochhaus landen würde! Nein, als Känguruh lebte ich in Australien, wo Känguruhs leben. Ich spränge mit großen, mächtigen, weit ausholenden Sätzen herum, von einem Ende des Kontinents zum anderen. Doch, ich hab mir das mal auf einer Karte angesehen.
    Ich glaube, das sind etwa zehn, allenfalls zwölf große Sprünge von Küste zu Küste. Sollen es meinetwegen fünfzehn sein, ich will mich da nicht streiten. Aber genaugenommen, also wenn ich es mir genau überlege, dann wäre ich gar nicht so gern ein Känguruh.
    Immer diese Herumspringerei. Immer springen, nie einfach so dahinspazieren. Nie schreiten oder schlendern, vom Radfahren will ich gar nicht reden. Und statt im Kinderwagen die Kinder herumzufahren, immer die ganze Bande im Beutel herumschleppen! Und das alles in Australien! So weit weg, am anderen Ende der Welt, wo ich mich nicht auskenne, wo ich mich doch gar nicht zurechtfinden würde, da ich doch noch nie dort war!
    Und wo sie eine Sprache sprechen, die ich gar nicht verstehe, die nicht einmal mein Großvater mütterlicherseits, der mit den vielen Sprachen, verstanden hätte. Obwohl, ein Känguruh in Australien, das ja dort zu Hause wäre, spräche die Sprache, die dort gesprochen wird. Vielleicht. Und es würde sich vielleicht sogar zurechtfinden. Darüber muß ich immer wieder nachdenken, wie das eigentlich ist und wäre und sein könnte, wenn. Wenn! Wenn ich zum Beispiel ein Tiger in Indien wäre, würde ich dann einen Inder verstehen? Sehen wir einmal davon ab, wie es wäre, wenn ICH Tiger in Indien wäre. Reden wir einfach einmal von einem normalen Tiger in Indien. Versteht der einen Inder? Wenn jetzt also, sagen wir einmal, ein Inder des Wegs kommt und sagt zu einem Tiger, der gerade am Straßenrand steht, »hey, Tiger, wo gehts denn hier nach Bangkok?«, zeigt dann der Tiger mit erhobener Pfote in eine Richtung und sagt: »Da gehst du immer die Straße lang, genau 1425,25 Kilometer geradeaus, dann ganz scharf nach rechts, dann siehst dus schon.« Sagt

Weitere Kostenlose Bücher