Rudernde Hunde
Haar, lächelte ihn an, suchte das Gespräch mit ihm, tat alles, um oft in seiner Nähe zu sein. Wenn sie verreiste und zurückkam, dann beachtete er sie nicht mehr, als wenn sie gar nicht weggewesen wäre. Und wenn sie sagte, daß sie eine Reise gemacht hätte, dann fragte er sie nicht einmal, wo sie war und wie lange. Und einmal traf sie ihn am Morgen nach einem heftigen Unwetter, und sie erzählte ihm, daß es bei ihnen im Garten einen Baum, einen riesengroßen Baum umgeknickt hätte, mit mehreren Vogelnestern darin, so hätte es gestürmt. Er nickte, sagte nichts dazu und fragte dann: ›Hat es bei Ihnen gestern auch so gestürmt?‹ Oh, wie liebte sie ihn! ›Er ist verrückt‹, sagten die Schwestern der jungen Frau. ›Er ist nicht von dieser Welt, ein Träumer, ein Nichtsnutz‹, sagte ihr Vater. Sie aber liebte ihn. Er dagegen ließ nichts in diese Richtung erkennen. Und als sie schon dachte, er würde sich nie für sie interessieren, da sagte er eines Tages zu ihr: ›Meine Schöne‹, sagte er, ja, ich weiß es ganz genau, er sagte ›meine Schöne‹«, sagte die Großmutter, »›meine Schöne, jetzt kennen wir uns schon so lange, jetzt sind wir uns schon so oft begegnet, jetzt wissen wir so viel voneinander, möchten Sie meine Frau werden?‹ Die junge Frau war überrascht, da der junge Mann sie doch, wie sie glaubte, gar nicht beachtet hatte. Sie war trotzig und fragte den jungen Mann: ›Wer sind Sie überhaupt?‹ ›lch bin‹, sagte er, ›der junge Mann, von dem Sie annehmen, daß er sie gar nicht beachtet. Aber Sie täuschen sich.
Ich liebe sie nämlich.‹ Da war die junge Frau sehr froh, heiratete den jungen Mann und sie wurden sehr glücklich miteinander, obwohl die Schwestern und die Eltern der jungen Frau nicht aufhörten, gegen den jungen Mann, ihren Mann, zu hetzen und Intrigen zu spinnen.« Am Ende der Geschichte seufzte die Großmutter.
»Woher weißt du das alles so genau, wo du doch die junge Frau gar nicht kanntest?« fragte ich.
»Ach, ich hatte eine sehr enge Freundin, die war wiederum die engste Freundin dieser jungen Frau, und die hat es mir erzählt. So, Schluß jetzt mit den Geschichten!«
Ich habe schon sehr früh begriffen, was du dir sicher auch schon gedacht hast, daß die Großmutter selbst die junge Frau war. Sie hatte so den Großvater kennengelernt.
Ich habe es ihr nie gesagt, aber ich habe es immer durchschaut, wenn die Großmutter Geschichten von fremden Leuten erzählte und es doch ihre Geschichten waren. Sie wollte einfach nicht von sich erzählen. Sie wollte, daß ihre Geschichten Geschichten von anderen Menschen sein sollten. Vielleicht konnte sie so der Wahrheit eher Unwahrheiten hinzufügen, die Geschichten verändern, wie das der Großvater bedenkenlos tat, auch wenn er von sich erzählte: »Als ich seinerzeit in Amerika war...« Und er war doch nie dort.
Wanda und Wladimir, die Schwäne, deren Geschichte ich Dir nun endlich erzählen will, erinnerten mich sehr an meine Großeltern.
Er, der umschweifige, übertreibende, es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmende Mann, sie, die Zaghafte, die lieber von anderen als von sich erzählte. »Es war einmal in Sibirien ein sehr schönes Schwanenmädchen«, fing sie zum Beispiel eine Geschichte an.
»Das ist sie, schau sie dir doch an, man sieht es doch immer noch, wie schön sie war und ist«, rief Wladimir. Wanda errötete dann meistens, was bei Schwänen übrigens sehr selten ist.
Meine Mutter erzählte keine Geschichten, solange ich ein Kind war. Nicht über sich und ihr Leben, nicht über andere. Wenn jemand fragte, »wie war das eigentlich, als ihr das Haus gebaut habt?«, schaute meine Mutter hilfesuchend meinen Vater an, der dann eine großwichtige Miene aufsetzte und sagte: »Am vierten April 1952. gingen wir am Nachmittag um sechzehn Uhr zum Notar und kauften für den Preis von eintausenddreihundertundsechsundzwanzig Mark die eintausenddreihundertundsechsundzwanzig Quadratmeter Baugrund, was ein Preis von einer Mark pro Quadratmeter ist. Damals ein guter Preis, heute legt man ein Vielfaches dafür hin. Es war ein regnerischer Tag, und wir hatten den Schirm vergessen. Es war ein sehr gutes Geschäft, und mein Weitblick wurde in den Folgejahren durch einen enormen Wertzuwachs belohnt...« Und so weiter. Der, der meine Mutter, warum auch immer, nach diesem Haus gefragt hatte, entkam meinem Vater nicht, und er war nach einem etwa einstündigen Vortrag umfassend über uns und unser Haus informiert. Er
Weitere Kostenlose Bücher