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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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doch Rosinen drin.«
    Hilde seufzte und ging in die Küche. Während sie sich bückte, um die Schränke zu durchsuchen, redete Bruni mit dem Vogel.
    »Du machst Mutti ja ganz traurig«, sagte sie, »da laß ich einmal aus Versehen das Fenster offen, und schon bist du weg, als hättest du es nicht schön bei mir. Du hast es doch schön bei mir!«
    Und sie gurrte und schnalzte, und Hilde zog aus der hintersten Ecke eine angebrochene Müslipackung hervor. Sie trug sie auf den Balkon, und Bruni sagte: »So, da müssen wir jetzt die Rosinen raussuchen, Nüsse und Haferflocken mag er ja nicht, gell, Leo, die magst du nicht, nur Rosinen!«
    Hilde seufzte, schrieb das Essen bei Ludmilla ab und beschloß, sie anzurufen und ihr zu sagen, daß sie nun endgültig zu spät käme, man solle einfach schon mal ohne sie anfangen.
    Ludmilla war wütend. »Verdammt noch mal«, sagte sie, »es ist immer dasselbe mit dir. Alle sind da, der Hase in Rotwein ist fertig, und du trödelst herum. Was machst du denn schon wieder?«
    »Im Moment sammle ich Rosinen aus einer Müslipackung«, sagte Hilde, und Ludmilla sagte: »Weißt du was, du kannst mich mal«, und legte auf.
    Hilde seufzte. Sie wußte, daß Ludmilla sich auch wieder beruhigen würde, daß man später durchaus noch friedlich ein paar Gläser Wein zusammen trinken könnte, aber sie wußte auch, daß vom Hasen in Rotwein dann nichts mehr übrig wäre, denn den würden die anderen restlos aufgegessen haben. Hilde redete sich ein, Hase in Rotwein sowieso nicht zu mögen, und Bruni fragte:
    »Was Wichtiges?«
    »Hase in Rotwein«, seufzte Hilde und sortierte Rosinen, Nüsse und Haferflocken. »Ich esse keine Tiere«, sagte Bruni vorwurfsvoll, »Sie sollten auch keine Tiere essen, Tiere sind doch unsere Freunde. Gell, Leo?«
    »Ich bin mit Hasen nicht befreundet«, sagte Hilde gereizt, und Bruni erzählte: »Ich hatte mal als Kind einen Hasen, der hieß Elvis.
    Ich hätte ihn niemals essen können.«
    Leo kreischte und schnarrte ein paar Töne und sah aus der Dachrinne zu, wie die beiden Frauen auf dem Balkontisch Rosinen aus einem Haufen Müsli pickten. Es waren schon einige zusammengekommen, und Bruni legte sie jetzt auf ihre flache Hand und lockte:
    »Komm, Leo, komm zu Mutti, Mutti Rosinchen!«
    Der Vogel äugte mit schief gelegtem Kopf, und dann breitete er tatsächlich die Flügel aus, flog aus der Dachrinne herunter auf Brunis Schulter und saß da für einen winzigen Moment. Dann aber, als sie ihn gerade packen wollte, flog er blitzschnell an genau die unerreichbare Stelle zurück, an der er vorher gesessen hatte.
    Bruni hatte Tränen in den Augen und sah Hilde an. »Die Rosinen sind zu alt«, sagte sie. »Ihr Müsli ist muffig, so was mag er nicht.«
    »So ein Quatsch«, wehrte Hilde sich, »er hat sie ja nicht mal probiert, Sie haben zu schnell nach ihm gegriffen, deshalb ist er weggeflogen.«
    »Nein«, beharrte Bruni, »die Rosinen sind alt, das merkt so ein kluges Tier sofort. Damit kriegen wir ihn nie.« Und Leo knarrte Zustimmung. Bruni schaufelte Haferflocken, Nüsse und Rosinen zurück in den Karton, den sie Hilde gab.
    »Da«, sagte sie und zeigte auf die Packung, »Verfallsdatum März, und jetzt ist Juli.«
    Hilde warf die Packung in den Mülleimer und nahm ihre Handtasche.
    »Ich muß jetzt wirklich los«, sagte sie. Bruni sah sie entgeistert an.
    »Aber wir können doch Leo nicht hier sitzen lassen!« sagte sie.
    »Wir?« fragte Hilde, »es ist doch Ihr Leo, mir ist das ganz egal, wo er sitzt.« Aber das stimmte nicht wirklich.
    »So können nur Menschen reden, die auch unschuldige kleine Hasen essen«, sagte Bruni vorwurfsvoll, »das kommt davon, keine Achtung mehr vor der Kreatur.« Und zu Leo rief sie hoch: »Keine Angst, Schätzchen, Mutti läßt dich nicht allein. Mutti geht hier nicht weg.«
    Hilde setzte sich und steckte sich eine Zigarette an. Bruni lehnte sich an die Balkonbrüstung und schaute hoch zu Leo, den leeren Käfig neben sich. Dann kam sie auf einmal ins Zimmer, wo Hilde dicke Rauchkringel in die Luft blies, und fragte:
    »Haben Sie Norwegian Wood?«
    »Habe ich was?« fragte Hilde verständnislos.
    »Norwegian Wood, von den Beatles«, sagte Bruni. »Das liebt Leo. Wenn er das hört, kommt er sofort.«
    »Sonst noch was«, sagte Hilde, »warum nicht das Stabat Mater von Pergolesi.«
    »Nein«, sagte Bruni, »Norwegian Wood von den Beatles. Ich habe das so oft gespielt, daß er es nachpfeifen kann, und wenn er das hört, kommt er immer angeflogen.

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