Rudernde Hunde
beruhigte Bruni sofort: »Aber er ist noch hier auf unserem Dach.« Sie traute sich nicht, ihr zu erzählen, daß der Vogel auf ihrer Hand gesessen und sie ihn nicht festgehalten hatte.
»Haben Sie denn nicht mit ihm geredet?« jammerte Bruni und lief auf den Balkon. Sie reckte sich, um Leo zu sehen und rief: »Leo, mein Kleiner, komm doch runter zu mir! Komm zu Mutti! Mutti ist wieder da, und paß mal auf, was ich dir mitgebracht habe!«
Bruni reichte Hilde die Platte.
»Auflegen, schnell«, sagte sie. »A-Seite, zweiter Titel.
Noewegian Wood. Nun machen Sie schon!«
Und Hilde nahm die Schallplatte und sagte düster: »Ach Gott, ich hab ja gar keinen Plattenspieler mehr, nur noch einen CD-Player!«
Bruni starrte sie entgeistert an. »Das ist jetzt nicht wahr, oder?«
flüsterte sie. Hilde nickte düster. »Doch«, sagte sie, »der Plattenspieler ist verpackt oben im Schlafzimmerschrank, den brauch ich doch nie. Ich hab nur noch CDs.«
»Ich denke, Sie haben das Weiße Album?« fragte Bruni fassungslos. Hilde nickte.
»Ja, hab ich auch, aber das kann ich nie spielen, weil ich eben keinen Plattenspieler mehr habe.«
»Haben Sie keinen mehr oder haben Sie ihn nur weggepackt?«
fragte Bruni.
»Weggepackt«, sagte Hilde, und Bruni befahl energisch:
»Worauf warten Sie dann. Los.«
Sie ging zurück auf den Balkon, schob die Blumenkästen auf der Balkonmauer ein wenig auseinander und beugte sich rückwärts.
»Ich halte Leo bei Laune«, sagte sie, »und Sie bauen diesen verdammten Plattenspieler wieder auf, Lautsprecher anstöpseln und so, das können Sie doch wohl, oder? Und möglichst nah am Fenster.«
Sie sah nach oben.
»Leochen«, rief sie, »alles wird gut, bald gehst du wieder mit Mutti nach Hause, du mußt nur ein bißchen Geduld haben, bis die Tante - wie heißen Sie noch mal?« fragte sie ins Zimmer, wo Hilde ratlos herumstand.
»Hilde.«
»Bis die Tante Hilde endlich die Musik macht, die mein Leochen so liebt. Schön dableiben, hörst du?«
Hilde zog die Pumps und dann den engen Kostümrock und die himmelblaue Bluse aus und schlüpfte in ihren leichten Morgenrock mit Vogelmuster. Vogelmuster! Sie holte die Leiter aus dem Bad und legte sie an den Schlafzimmerschrank. Ganz oben beim Ersatzkissen und der Winterbettwäsche war der Karton mit ihrem alten Plattenspieler, sie holte ihn herunter und packte aus, was drin war. Der Anblick des Plattenspielers rührte sie. Wie oft hatte sie als junges Mädchen davorgesessen und Platten gehört, und jetzt hatte er ausgedient und war einfach weggeräumt worden.
Zum erstenmal war sie froh, ihn nicht weggeworfen zu haben. Sie stellte ihn unters Schlafzimmerfenster und holte eine der Lautsprecherboxen aus dem Wohnzimmerregal.
»Stereo muß es ja wohl nicht sein!« rief sie, und Bruni rief zurück: »Hauptsache, er erkennt sein Lied!«
Es dauerte eine ganze Weile, bis Hilde, auf dem Boden knieend, den Lautsprecher richtig eingestöpselt, mit drei verschiedenen Verlängerungsschnüren den Plattenspieler angeschlossen und schließlich angestellt, die Platte aufgelegt hatte. Sie zog die Schlafzimmergardine zurück, öffnete das Fenster und sah hinaus.
Bruni saß zwischen den Pelargonien und gluckerte und gurrte.
»Leo«, sagte sie, »mein Vögelchen, mein Freund, alles wird gut, du wirst es sehen, gleich kommt dein Lieblingslied, Tante Hilde spielt es für dich, und dann kannst du mit Mutti nach Hause gehen.«
Hilde sagte: »So, Achtung, ich mach jetzt an.«
Sie setzte mit zitternden Fingern die Nadel auf Lied zwei.
»I once had a girl, or should I say, she once had me« erklang, und Hilde lief mit roten Wangen erregt zu Bruni auf den Balkon.
»Na«, sagte sie, und Bruni flüsterte: »Pssst.«
John und Paul sangen das Lied vom Mädchen mit der Wohnung ganz aus Holz, in der man aber nirgends sitzen konnte, und dann ging das Mädchen ins Bett, weil es am ändern Morgen früh raus mußte, und der junge Mann schlief im Badezimmer, und als er wach wurde, war sie schon wieder weg, und er steckte aus lauter Frust die Bude in Brand, isn't it good, Norwegian Wood?
Was für ein unbeschreiblich blödes Lied, dachte Hilde, und Bruni sang leise mit und streckte die Hand aus.
Als das Lied fast zu Ende war und als Frau Simmenthal von gegenüber schon auf dem Balkon erschien, die Arme in die Hüften gestemmt, und als Hilde schon wußte, daß sie jetzt herüberschnarren würde, was das solle, Musik bei weit offenem Fenster und man möge bitte sofort..., da kam Leo
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