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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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vornahm, schlief er seinen Rausch aus. Am Nachmittag kam er heraus, jetzt wieder ganz Arbeitanschauer. Er zelebrierte. Langsam ging er um den Stall herum, machte das Tor auf und zu, machte sichtbar, ohne es zu kommentieren, daß der Riegel etwas streng ging, rüttelte an dem Stall, wie kein Wind je daran rütteln würde, überprüfte die Nägel, fand schließlich einen Nagel, den ganz reinzuschlagen, ich vergessen hatte, nahm den Hammer und schlug den Nagel den halben Zentimeter, den er noch herausstand, hinein, so, als sei dieser Nagel nun der wichtigste, quasi der Nagel des goldenen Schnitts unseres Hühnerstalls, als hielte dieser Nagel alles zusammen, als habe jetzt erst diese Arbeit den Segen der Götter.
    Dann schüttelte er den dadurch auf seine Hände geratenen imaginären Staub ab, auch von Hose und Jacke, nickte und gab seine Art Lob von sich: »Tadellose Arbeit, das hätte ich selbst nicht besser machen können.«
    Das tat meinem Triumph keinen Abbruch. Ich war stolz, und er war fortan vorsichtiger, so daß es mir danach nur noch ein einziges Mal gelang, ihm gegenüber aufzutrumpfen: Als meine Mutter krank war und zur Kur mußte, kam ich für ein halbes Jahr in ein Internat. Es war eine schreckliche, handwerkslose Zeit, die ich mit Schachspielen zubrachte. Ich spielte täglich, meist gegen stärkere Gegner, lernte von ihnen, beteiligte mich an Schulmeisterschaften und wurde ein ganz guter Spieler. Weihnachten, wieder zu Hause, forderte ich meinen Vater zu einer Partie Schach auf. Arglos ließ er sich darauf ein, und ich schlug ihn. Er war irritiert, hielt das für einen Zufall und die Folge dessen, daß er lange nicht gespielt hatte. Ich schlug ihn ein zweites Mal. Das war unsere letzte Partie, die wir je zu Ende spielten, die dritte warf er um, als er sah, daß er wieder verlor, und fortan tat er kund, daß er wahrlich Wichtigeres zu tun habe als Schach zu spielen. Es tat mir später leid, daß ich ihn nicht hatte gewinnen lassen. Es hätte doch gereicht, daß er wußte, daß ich wußte, daß er einen Hammer nicht richtig in die Hand nehmen konnte, um einen Nagel in ein Brett zu schlagen.

Norwegian Wood oder: Harald, wo der Pfeffer wächst  
    H ILDE WOLLTE GERADE das Haus verlassen, und sie war schon wahrhaftig spät dran, da klingelte es an der Tür. Sie stellte ihre Handtasche wieder ab und öffnete. Draußen stand eine dicke Frau in kurzen Shorts und einem Bob-Marley-T-Shirt. Sie hatte strohig blondiertes, vom Kopf abstehendes Haar, verheulte Augen und trug einen leeren Vogelkäfig in der Hand.
    »Mein Leo sitzt in Ihrer Dachrinne«, sagte sie, »kann ich mal reinkommen und ihn locken? Ich bin schon seit drei Straßenblocks hinter ihm her, und hier oben hat er sich endlich niedergelassen.«
    »Ich muß aber weg«, sagte Hilde, »und zwar eilig, ich komme sowieso schon zu spät.« Die Frau sah sie mit Tränen in den Augen an. »Mein Leo sitzt da«, sagte sie mit Nachdruck und wies mit der Hand irgendwohin nach oben.
    »Wo, da?« fragte Hilde einigermaßen ärgerlich, ließ die Frau aber doch in die Wohnung und ging mit ihr zum Balkon. Sie öffnete die Balkontür, die Frau mit dem Käfig kam hinter ihr her, und sie sahen nach oben. In der Dachrinne saß ein schwarz glänzender Vogel mit einem orangefarbenen Schnabel und ein paar gelben Federn am Kopf.
    »Leo!« rief die blonde Frau und hielt den leeren Käfig hoch.
    »Komm zu Mutti! Was machst du denn für Sachen!« Leo legte den Kopf schief und sah zu ihnen hinunter. »Ein Papagei ist das nicht«, stellte Hilde fest und machte sich darauf gefaßt, nun ganz und gar zu spät zu kommen. »Nein«, sagte die blonde Frau. »Er ist ein Beo.«
    »Ein was?« fragte Hilde, denn der Vogel sah eher aus wie eine Krähe, abgesehen vielleicht von den seltsam aufgetakelt wirkenden farbigen Federn am Kopf.
    »Ein Beo«, sagte die Frau, »gracula religiosa.«
    »Dracula?« fragte Hilde, und die Frau erklärte: »Gracula. Gracula religiosa, so heißt er, nein, er heißt Leo. Beo Leo, und ich bin die Bruni. Er ist mein ein und alles.«
    Und sie schnalzte mit der Zunge und stieß eigenwillige Gurrlaute aus, um den Vogel zu locken. Der legte den Kopf schief und rührte sich nicht von der Stelle.
    »Haben Sie Rosinen?« fragte Bruni. »Rosinen frißt er so gerne, damit könnten wir ihn locken.«
    Hilde schüttelte den Kopf. »Was soll ich mit Rosinen«, sagte sie,
    »ich backe seit Jahren nicht mehr.«
    »Und Müsli«, fragte Bruni, »haben Sie denn kein Müsli, da sind

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