Rudernde Hunde
wunderbares Tier. Er ist mein ein und alles.«
Hilde war beeindruckt. »Aber ich kann Sie doch nicht einfach allein in meiner Wohnung lassen, bis Sie ihn haben«, sagte sie ein wenig ratlos. »Ich kenne Sie doch gar nicht.«
Bruni nickte. »Das verstehe ich«, sagte sie. »Wissen Sie was, ich lauf jetzt schnell nach Hause, ist ja nur drei Straßen weiter, und dann hol ich Rubber Soul, und dann spielen wir ihm das vor, ja?
Sie werden sehen, er kommt dann in Nullkommanix angeflogen und Sie können zu diesem toten Hasen gehen.«
Hilde seufzte. Bruni sah sie mit aufgerissenen Augen an.
»Aber Sie müssen mir hoch und heilig versprechen, in der Zeit nicht einfach abzuhauen und das arme Tier da sitzen zu lassen«, flehte sie, und Hilde nickte ergeben. »Ich bleibe da«, sagte sie,
»aber beeilen Sie sich.«
Bruni ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und bat:
»Reden Sie bitte so lange mit ihm, er hat gern Unterhaltung, und dann fliegt er nicht noch weiter weg. Ich bin sofort wieder da.«
Sie ging, und Hilde seufzte tief und trat auf den Balkon, um sich den seltsamen Vogel noch einmal anzuschauen.
»Hase in Rotwein«, sagte sie, »das hast du mir ja nun gründlich vermasselt, du blödes Vieh.«
Leo legte den Kopf schief und krächzte. Und dann pfiff er plötzlich, so schien es Hilde, einige Töne aus Norwegian Wood.
»Das gibt's doch nicht«, sagte sie. »Du kennst das wirklich?«
Und sie versuchte sich auch an der Melodie, und weil sie den Text nicht kannte, sang sie lalala. Der Vogel hörte zu, pfiff ein bißchen mit, und Hilde mußte lachen.
»Du bist schon ein komischer Kauz«, sagte sie und verbesserte sich sofort: »Nein, kein Kauz. Ein Beo. Beo.« Der Vogel sperrte den Schnabel auf und rief: »Leo!«
Hilde sah ihn entzückt an, und er wiederholte: »Leo. Leoleo.
Komm zu Mutti, mein Kleiner.« Und dann pfiff er wieder den Anfang der Melodie von Norwegian Wood, und plötzlich kam er auf Hilde zugeflogen. Sie wich zurück, sie hatte Angst vor allem, was so ungewohnt flatterte, und wie zur Abwehr streckte sie die Hände aus. Beo Leo landete auf ihrer ausgestreckten linken Hand. Hilde traute sich nicht zu atmen und starrte ihn an. Er starrte zurück mit klugen, glänzenden schwarzen Knopfaugen und kollerte irgendwelche Töne in der Kehle. Seine kleinen Krallen lagen hart und trocken auf ihrer Hand, und er war so unerwartet federleicht, als hätte er gar keinen Körper, keine Knochen, bestünde nur aus diesen lackschwarzen Federchen. Hilde hielt den Atem an.
»Du bist ja ein ganz Schöner«, flüsterte sie. »Komm, willst du jetzt mal in deinen Käfig gehen?« Sie bewegte sich ein wenig in Richtung Käfig, der auf dem Boden des Balkons neben der Tür stand, und Leo rührte sich nicht.
»Dich könnte ich auch nicht essen«, sagte Hilde. »Beo in Rotwein - niemals.« Sie wußte nicht, wie sie sich mit diesem Vogel unterhalten sollte, und sagte entschuldigend: »Ludmilla kocht immer solche Sachen. Dabei esse ich im Grunde viel lieber Hausmannskost.«
Leo sperrte den Schnabel auf und krähte fröhlich: »Harald! Wo der Pfeffer wächst!«
»Harald?« fragte Hilde, »hast du Harald gesagt? Wer ist denn Harald?«, und der Vogel gurrte zufrieden: »Pfeffer wächst.« Dann pfiff er wieder ein Stück aus Norwegian Wood, und mit brüchiger Stimme, vorsichtig, sang Hilde mit: »I once had a girl, lalala, Norwegian Wood.«
Da standen sie, Hilde in ihrem dunkelblauen Kostümrock und der himmelblauen, ärmellosen Bluse, auf der ausgestreckten Hand saß der Vogel, sie sangen zusammen, und Hilde fühlte sich aufgeregt und glücklich.
»Ich muß dich jetzt packen und in deinen Käfig tun«, sagte sie.
»Aber wie pack ich dich denn bloß?«
Leo sah sie an, gab ihr aber dazu keinen Ratschlag. Stumm, aber nicht unfreundlich betrachteten sie einander, und in dem Moment klingelte es an der Tür. Leo erschrak und flog davon. Er flog über die Regenrinne hinaus hoch oben auf den Dachfirst und blieb, für Hilde kaum noch sichtbar, neben dem Kamin sitzen.
»Großer Gott!« murmelte sie erschrocken und lief zur Tür, um Bruni zu öffnen.
»Ist er noch da?« fragte Bruni. Sie war erhitzt, ihr wirres Haar stand noch mehr ab, das Gesicht war rot, sie preßte die LP Rubber Soul an die Brust. Vier junge Männer mit langen Haaren schauten schwermütig in Schwarzgrün vom Cover der Platte, die Schrift war psychedelisch geschnörkelt und orangefarben.
»Er ist gerade ein kleines Stückchen weitergeflogen«, gestand Hilde und
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