Rudernde Hunde
und ich stritten viel, redeten aber ansonsten kaum noch miteinander. Abends saß er in seinem Sessel und las Geh wohin dein Herz dich trägt.
Dann kam mein Geburtstag. Ich rechnete mit dem Üblichen -
Blumen, Bücher, ein Parfüm, »alles Liebe, Karoline«, und dann lag, über meinem Stuhl am Frühstückstisch, einfach so hingebreitet, der Mantel. Dieser Mantel, ihr Mantel, ich roch sogar das feine Parfüm. Mein Mann küßte mich auf die Stirn.
»Herzlichen Glückwunsch, Karoline«, sagte er. »Da hast du deinen Traum.«
Ich war sprachlos. Ich starrte den Mantel an, fühlte das weiche Fell und fragte: »Wie hast du das geschafft?«
»Indem ich«, sagte er, »so lange immer wieder hingefahren bin, bis sie ihn eines Tages rausgerückt hat. Freust du dich?« »Ja«, hauchte ich und zog den Mantel zum erstenmal an. Ich konnte nicht einmal danke sagen. Ich fühlte, wie weich, wie warm, aber auch wie unerwartet schwer er war. Die linke Tasche war ein wenig eingerissen. Ich ging in den Flur, wo besseres Licht war und wo ein großer Spiegel hing, und sah mich an.
Ich sah eine dünne, blasse Frau mit einem erloschenen Gesicht.
Der Mantel war mir zu groß, er war zu lang, die Schultern waren zu breit. Er hing an mir herunter wie tot. Fieberhitze stieg mir in die Wangen. Ich suchte meine Stiefel, zog sie an, legte einen Schal um den Hals - es half nichts. Der Mantel stand mir nicht, er paßte nicht zu mir, ich sah grotesk verkleidet darin aus.
Ich setzte mich auf die Treppe und schluchzte. Mein Mann kam aus dem Wohnzimmer, sah mich verblüfft an. »So sehr freust du dich?« fragte er.
»Er steht mir nicht!« schluchzte ich. »Bring ihn zurück.«
Er stand auf. »Ich denke nicht daran«, sagte er. »Fünfmal bin ich zu Isabella gefahren, bis ich sie endlich soweit hatte, mir den Mantel für dich zu geben. Ich mache mich doch jetzt nicht lächerlich und bringe ihn zurück.«
Isabella? Ich schniefte, putzte meine Nase und sah hoch. Ich sah ihn an, er wich meinem Blick aus. Ich zog den Mantel aus, hing ihn auf einen Bügel und ging zurück zu meinem Geburtstagsfrühstück.
Ich hörte die Haustür schlagen, mein Mann war gegangen.
Er verließ mich etwa drei Wochen später. Er ließ mir das Haus und die Katzen und zog zu Isabella. Geh, wohin dein Herz dich trägt. Wir sind noch nicht geschieden, aber das kommt wohl noch, denn sie will ihn heiraten. Zur Hochzeit werde ich ihr den Trenchcoat zurückschenken, mit allen Katzenhaaren auf dem Innenfutter.
Wenn Vater seine von uns allen gefürchtete gute Laune bekam
W enn MEIN VATER AM FREITAG, von kollegialen Schnapsrunden in der Betriebskantine ins fröhliche Wochenende geschickt, erst mit dem letzten der drei Abendbusse nach Hause kam, konnte es sein, daß er gute Laune hatte. Empörend gute Laune. Dann waren seine Wangen gerötet, seine Augen hatten einen flackernden Glanz, seine Hände, die stets eine Zigarette hielten, zitterten fahrig, und seine Stimme bekam eine beängstigend laute Entschiedenheit, die keinen Widerspruch dulden wollte. Meine Mutter seufzte dann, doch das war weit entfernt von irgendeinem Einspruch gegen das, was Vater nun verkündete. Meine Mutter widersprach meinem Vater nur innerlich, was sich durch duldsames Nicken und darauf folgende stundenlange Sprachlosigkeit offenbarte. Dreißig Jahre später, als mein Vater tot war, widersprach sie ihm so aufwendig und bei jeder Gelegenheit, als wollte sie sich nachträglich für alle zu seinen Lebzeiten durch seine gute Laune zerstörten Wochenenden rächen. Und für noch viel mehr.
Mir ist es immer ein Rätsel geblieben, wieso mein Vater, der sich weder je um unsere Erziehung noch um irgendwelche schulischen Leistungen oder Termine kümmerte, seine von uns so gefürchtete gute Laune immer an den Wochenenden bekam, an denen wir samstags schulfrei hatten. Und ich erinnere mich, daß mein Vater mit seiner unerbittlich guten Wochenendlaune immer einen sonnigen Samstag herbeizuzaubern vermochte. Ich kann mich nicht erinnern, daß die von Vaters Laune verordneten Samstagsfamilienausflüge je wegen schlechten Wetters ausgefallen wären, und ich bin mir ziemlich sicher, sie hätten auch bei schlechtem Wetter stattgefunden.
Unser Vater verkündete also beim freitäglichen Abendessen:
»Morgen machen wirs uns richtig schön. Wir fahren in die Stadt, wir machen einen Ausflug!«
Unsere Mutter und wir schwiegen. Wir brauchten ihm weder Zustimmung noch Begeisterung zu zeigen. Die hatte er selbst, das genügte ihm
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