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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Krankheiten gemeinsam, sie war nicht ansteckend.
    Unsere Mutter blieb während der Fahrt stumm. Sie schaute auf die reizlose bayerische Agrarlandschaft, und manchmal seufzte sie, was Vater sofort zu der Festellung veranlaßte, man werde ja gleich ankommen, etwas Geduld könne man ja wohl doch erwarten, und was solle er sagen, der er täglich morgens und abends jeweils 37 Minuten im Bus nach München sitze, nur um das Geld fürs Leben ranzuschaffen.
    Heute weiß ich, daß meine Mutter sich damals dahin zurücksehnte, wo sie jetzt als Greisin in ihrer Vorstellung wieder angekommen ist, in ihre Kindheit an der Ostsee.
    Der Zug kam, wenn er pünktlich um 9 Uhr 14 abfuhr, 3z Minuten später, um 9 Uhr 46, in der Kreisstadt an. Hatte er bei uns 10
    Minuten Verspätung und holte aber auf der Strecke, von unserem Vater mittels ständigem Uhrenvergleich an den einzelnen Stationen begleitet, fünf Minuten auf, so daß er um 9 Uhr 5 1
    ankam, ließ es sich mein Vater auch von meiner Mutter nicht nehmen, an die Spitze des Zuges zu gehen, um den Lokomotivführer persönlich zu begrüßen und ihm sein ausdrückliches Lob für sein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Fahrgast auszusprechen.
    Dann marschierten wir wieder, vom etwas auswärts gelegenen Bahnhof zum Marktplatz. Das dauerte während der Woche, wenn wir zur Schule gingen, etwa 1 5 Minuten. Mit unserem Vater dauerte es 9 Minuten, so daß im Normalfall die Dom-Uhr 10 Uhr schlug, wenn wir auf dem Markt ankamen, was Vater mittels Stehenbleibens und andächtigen Mitzählens der Glockenschläge genoß. Solche Tage erfreuten unseren Vater persönlich und waren ihm, der schon als Soldat Pünktlichkeit zu schätzen gelernt hatte, willkommener Anlaß, beim Jungbräu schon mal ein Bier zu trinken, während wir mit Mutter, der er etwas Geld gab, über den Markt gingen.
    Außer Schnürsenkeln, etwas Nähseide oder Garn, Gummiband oder einem Reißverschluß kaufte meine Mutter auf dem Wochenmarkt nichts, denn Obst und Gemüse, das hatte ihr unser Vater vorher noch gründlich eingetrichtert, kriegten wir draußen bei den Bauern billiger. So hielt also unsere Mutter getreu seiner Weisung das Geld zusammen, während er Bier um Bier trank, sich in den Mittelpunkt der Markttagsgesellschaft im Jungbräu schwadronierte und Runden ausgab. Manchmal kaufte uns die Mutter eine Kugel Eis. Sie mußte das heimlich tun, denn Naschen, wie er das nannte, konnte Vater auf den Tod, wie er sagte, nicht leiden. Nachdem wir aber einmal in seinem Bastelkeller ein verstecktes Depot mit Süßigkeiten entdeckten, nahmen wir auch das nicht mehr ernst.
    Wenn wir dann, wie verabredet, um n Uhr 30 im Jungbräu auftauchten, hatte Vater schon alles in der Hand, gab den Ton an und die Getränke aus. Der Mundwerker war in seinem Element, aus dem er sich unsertwegen nur ungern verabschieden wollte. Er hielt Vorträge, erzählte Geschichten, riß Witze, wußte alles besser, und die Runde hörte ihm geduldig zu, nach dem allen vertrauten Motto: Wer zahlt, redet. Daß viele von ihnen meinen Vater für einen wichtigtuerischen Hampelmann, einen (preußischen) Spinner, einen Quatschkopf hielten, merkte ich schon sehr früh an der mitleidigen Art, mit der sie uns und vor allem unserer Mutter begegneten.
    Einmal, das war für uns besonders peinlich, machte er vor, wie man sich vor der Strahlung nach einem Atomschlag schützen konnte. Die Gefahren, so sagte er, würden völlig überschätzt werden, jedermann könne sich mit einfachsten Mitteln schützen, wenn er wie er Bescheid wisse. Am Ende des Vertrags lag unser Vater flach auf dem Boden hinter einer Bank der Wirtschaft und hielt sich schützend eine Aktentasche über den Kopf.
    »Und so lange verharren«, schrie er, »bis Entwarnung gegeben wird!«
    Der Beifall derer war ihm sicher, die einen wie ihn brauchten, einen Spaßvogel, einen Alleinunterhalter, einen Clown, der auch noch ein Bier dafür ausgab, daß man ihm zuhörte. Es war die Nachkriegszeit, fünfziger Jahre. Es ging noch nicht allen gut. Viele hatten noch den Krieg im Gesicht, manche noch keine Existenz, der eine oder andere noch kein Dach über dem Kopf. Da war man dankbar für die billigen Späßchen, die etwas von Frontunter-haltung hatten. Blasse, ausgemergelte Gestalten standen oder saßen da und fanden schon jetzt am Vormittag Trost im Alkohol.
    Sie waren Vaters Publikum. Sie hörten ihm zu, denn was sie zu erzählen gehabt hätten, interessierte niemanden mehr.
    Manchmal sahen wir sofort, wenn wir mit

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