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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Aber sie da draußen in dem einsamen Haus, frierend womöglich! Durfte ich sie da einfach so im Stich lassen?
    Weihnachten kam, und ich log mir vor, daß das nun alles andere als ein Grund sei, sich bei Klara zu melden. Ich würde am Heiligen Abend und in den Feiertagen allein sein, das wußte ich. Die meisten Freunde und Bekannten zogen sich in ihre Familien zurück, und die junge Schauspielerin, mit der ich eine neue Beziehung begonnen hatte, fuhr zu ihren Eltern nach Wien. Am Heiligen Abend ging ich in eine der trostlosen Kneipen, die geöffnet hatten. Da saßen nur solche wie ich. Alleinstehende, Gescheiterte und Selbstmitleidige wurden gemeinsam sentimental.
    Die Wirtin hatte einen kleinen Weihnachtsbaum geschmückt, den genossen wir verstohlen.
    »Lieber heute allein als das ganze Jahr Krieg«, sagte einer. »Ich hätte ein Recht darauf gehabt, die Kinder heute zu sehen, aber ich zwinge niemand. Ich hab ihr hundert Mark geschickt, das muß genügen. Prost auf das Jesuskind!«
    Und langsam schlich einer nach dem anderen zur Telefonkabine, um irgendwo doch anzurufen, wo er noch vor Stunden nicht hatte anrufen wollen. So auch ich.
    Klara war gleich dran. Im Hintergrund waren Menschen zu hören, und Hannes Wader sang zur Klampfe Schubert-Lieder. Damit hatte er zu meiner Entnervung schon unsere ganze Renovierungsphase begleitet. Ja, sie hätten es schön, die Jungs seien da und ihre Eltern und Siggi und Sonja, und mir gehe es hoffentlich auch gut.
    »Nach den Feiertagen werde ich mal rauskommen - ein paar Sachen holen.«
    »Tu das, aber melde dich bitte vorher an, ja.«
    Weihnachtsgrüße gingen hin und her, dann mußte sie auflegen, weil sie was im Backofen hatte. Mir war elend. Im Lokal fiel das keinem auf. Innerlich heulten wir alle, denn tief in jedem von uns machte es blaff-blaff.
    Es ging ihr also gut. Siggi war Weihnachten bei ihr! Was soll das bedeuten? Was findet sie bei ihm, was er bei ihr? Ist er Geliebter oder Sohnersatz oder beides? Aber kann denn ein zweiundzwanzigjähriger Handwerker mit dummen blonden Locken eine fünfzigjährige Frau mit Bildung lieben, ohne daß das auf ihre Kosten geht? Müßte man sie schützen? Und wer ist Sonja? Eine Freundin der Söhne? Siggis Freundin? Eine Freundin von ihr? Hat sie jetzt vielleicht eine Freundin? Aber vor allem: was ist das mit Siggi? Schläft sie mit ihm? Warum eigentlich nicht? Schlafe ich nicht auch mit Jenny, dieser siebenundzwanzigjährigen Schauspielerin? Und interessiert mich, wenn ich ehrlich bin, deren Kellertheaterschauspielerei mehr, als Klara das Heizungswesen interessieren kann? Verdammt noch mal, ich war eifersüchtig!
    Blaff-blaff, schrie ich zum Fenster hinaus. Kein Echo, keine Antwort.
    Das neue Jahr verlangte zu früh Aktivitäten von mir. Ich sollte endlich ein neues Kinderbuch schreiben, für das ich schon vor längerer Zeit einen Vorschuß bekommen hatte, ich sollte mir eine Wohnung suchen, denn der Freund, bei dem ich jetzt wohnte, würde im Februar zurückkommen. Worüber sollte ich schreiben?
    Was interessierte Kinder? Wußte ich das noch? Man sagt meinen Kinderbüchern nach, daß sie wie aus dem Leben gegriffen seien und eine gewisse Leichtigkeit hätten. Doch jetzt fiel mir nichts ein, und leicht war mir schon gar nicht. Und wie sollte ich eine Wohnung finden? Wo suchen? Wo wollte ich überhaupt wohnen?
    Und wäre es gerecht, daß Klara das ganze Haus da draußen bewohnte und ich mich womöglich mit einer kleinen Stadtwohnung begnügen würde? Probleme, die ich nicht lösen konnte und wollte.
    Noch wollte ich leiden und mich bemitleiden. Das Frühjahr sollte mich auftauen, beschloß ich. Im März rief ich Klara an. Sie war ganz sachlich, ich merkte sofort, daß sie nicht wie ich litt. Sie redete über die Söhne, über das Konto und die Zukunft, von der sie eine ganz konkrete Vorstellung hätte, und daß wir darüber reden müßten, da sie sofort klare Entscheidungen brauchte.
    Die Natur draußen war jetzt mit ihren zarten Farben sehr verführerisch und ein Stück meiner Jugend, die ich auf dem Dorf verbracht habe, kroch wieder in mir hoch. Doch als ich vor dem Haus vorfuhr, hatte ich bereits innerlich Abschied genommen vom Land, das mir zerstört, brutal und häßlich schien und keinen Reiz mehr für mich barg, für mich, der sich schon der Wiederverstädterung anheimgegeben hatte.
    Vor dem Haus stand ein Müllcontainer, und auf Paletten waren Baumaterialien gestapelt. Es sah aus wie vor einem Jahr. Ich konnte mir das nicht

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