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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Mutter in den Jungbräu kamen, daß unser Samstagsfamilienausflug hier schon sein Ende finden würde. Entweder war Vaters gute Laune schon in zuviel Bier ertränkt worden und einer dumpfen Gleichgültigkeit gegenüber Familie, Frau und Kindern gewichen, oder sie wurde in lauten Streitigkeiten zerrieben, in die Menschen den Vater verwickelt hatten, die ihm nicht kampflos das Terrain der Alleinunterhaltung überlassen wollten. Wie auch immer, wir bekamen jeder ein Würstchen mit Kartoffelsalat, eine Limonade und lehrreichen Einblick in unseres Vaters Wichtigkeit.
    Dann machte Mutter den kurzen, meist vergeblichen, von ihr auch nur aus irgendeinem Gefühl der Fürsorge für ihn entstandenen Versuch, Vater loszueisen, was selten gelang. Also gingen wir zum Bahnhof und fuhren mit dem nächsten Zug zurück.
    Das hatte für uns den Vorteil, daß wir vom Samstagnachmittag noch was hatten. Vater kam meist tief in der Nacht, manchmal von irgendwelchen Leuten mit dem Auto gebracht, völlig betrunken, gelegentlich auch von der Polizei irgendwo aufgegabelt und zu Hause abgeliefert.
    Wenn aber um n Uhr 30 im Jungbräu die gute Laune unseres Vaters gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte, dann war er wild entschlossen, das Familienprogramm gnadenlos durchzuziehen.
    »Der Berg ruft!« rief er, stand auf, huldigte seinem Publikum, ging voraus, und wir folgten ihm.
    Wieder marschierten wir. Diesmal quer durch die Stadt, eine schmale Gasse entlang, hinauf zu dem Berg, auf dem Gärtnerei, Gartenbauschule, Landwirtschaftsakademie, eine Brauerei und natürlich ein Biergarten waren. Die gute Laune schritt mächtig voraus, wir hechelnd hinterher. Bei diesem Gang konnte es sein, daß meine Mutter Wörter wie »schämen«, »zum Narren machen«,
    »Gespött der Leute« oder »Geld zum Fenster hinaus« aufs Pflaster warf. Erst stellte sich der Vater taub, dann schrie er zurück, wenn sie gar nicht aufhören wollte. Er, sagte er, halte die Woche über den Kopf hin, arbeite sich auf, lasse sich wer weiß wie von wer weiß was für Idioten etwas sagen, nur um diese Familie zu ernähren, und dann vermiese man ihm die paar unschuldigen Bierchen. Mutter resignierte am Ende immer.
    Nur einmal, ich glaube, das war nach dieser Atomschlagüberlebensdemonstration, blieb meine Mutter plötzlich mitten in der Berggasse stehen und schrie und schrie, als seien ihr tausend Messer in den Kopf gefahren. Wir blieben stehen und starrten sie an.
    »Andere werden dafür bezahlt, daß sie den Clown machen!«
    schrie sie so laut, daß an den Fenstern Köpfe erschienen. Dann drehte sie sich um und ging zum Bahnhof. Nie habe ich meinen Vater so sprach- und ratlos gesehen. Verwirrt folgte er ihr und wir ihm. Stumm saßen wir im Zug, Mutter beachtete Vater nicht, schaute durch ihn hindurch auf die Landschaft, die ihr vielleicht wieder das Meer war, der Sandstrand von Travemünde, an dem sie mit ihren drei Schwestern entlanglief, lachend, balgend, unbeschwert, behütete Großbürgerkinder.
    Ich glaube, es war das einzige Mal, daß wir alle fünf schon am frühen Samstagnachmittag nach Hause kamen. Vater und Mutter sprachen tagelang nicht miteinander. Ein stummer Krieg tobte, den er natürlich irgendwann gewann.
    Gemeinhin folgte mein Vater dem Ruf des Berges und wir ihm.
    Müßig, zu erwähnen, daß es den Vater selbstverständlich und ausschließlich in den Biergarten zog. Um das nicht ganz offensichtlich erscheinen zu lassen, bemühte er sich, uns ein um unsere Bildung bemühter Vater zu sein. Er erzählte von den drei Bergen der Stadt, dem Nährberg mit Brauerei, Landwirtschaftsinstituten und Gärtnereien, dem Wehrberg mit den diversen Kasernen und dem Lehrberg mit den verschiedenen Gymnasien und anderen Schulen. Und von jenem aus den Wäldern gekommenen Mönch erzählte er, der hier auf diesem Hügel einen Bären durch Beten gezähmt hatte und aus purer Dankbarkeit gegenüber Gott sofort begann, Bier zu brauen und eine Schenke und ein Kloster aufzumachen. Unseren ganzen heimatkundlichen Lehrstoff, mit dem uns unsere Lehrer nervten, redete er an uns hin.
    Am Berg angekommen machte er den Vorschlag, daß wir mit Mutter die Gärtnerei und deren Staudengarten besuchen sollten, während er schon mal zum Biergarten gehe, damit man dann nachher zum Mittagessen auch sicher einen Platz habe. Von uns erleichtert strebte er mit nach Abenteuern gierendem Blick zielbewußt neuen Bieren, neuen Menschen, neuem Publikum zu.
    Lustlos folgten wir der Mutter in ein Reich, das das ihre

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