Rückgrad
das beurteilen konnte, war ich nicht der einzige, dem dieses merkwürdige Phänomen auffiel.
Astringart, der versucht hatte, mir den Todesstoß zu versetzen, war bleich wie die Wand und hatte sich in einen Sessel zurückgezogen, ich hingegen war noch auf den Beinen und grüßte die Frühschläfer, die die Arena in kleinen Gruppen verließen. Sicher, ich war auch nicht mehr ganz auf der Hut, Elsie war zwei-, dreimal unversehens neben mir aufgetaucht und hatte Gelegenheit gehabt, mir ganz leise ein paar Worte zuzustecken, von denen ich zum Glück rein gar nichts mitbekam, da ich geistesgegenwärtig genug war, mich zu entfernen, wenn auch nicht so schnell, wie ich mir gewünscht hätte. Ich war mir bewußt, daß die Gefahr wuchs, je dichter der Nebel wurde. Vor einigen Minuten erst war es ihr gelungen, mich in der Ecke neben dem offenen Kamin festzunageln. Keine Ahnung, was ich da trieb, jedenfalls hatte sie mit einemmal, als ich den Kopf hob, wenige Zentimeter vor mir gestanden. Erschrocken war ich zurückgewichen, aber hinter mir erhob sich die Mauer. Ich hatte mich auf das Schlimmste gefaßt gemacht, das Blut stockte mir in den Adern, und ich rüstete zum großen Zoff. Doch sie hatte kein Wort gesagt, und ihr Gesicht blieb friedlich. Bloß ihren Blick hatte sie auf mich gerichtet. Bei dem Zustand, in dem ich war, hatte ich mich nicht gerade behaglich gefühlt. Andererseits hypnotisierte mich die Milde ihrer Augen, ich fühlte mich in einem unsichtbaren Netz gefangen. Ich befürchte, während dieser wenigen Sekunden war ich ihr wehrlos ausgeliefert, aber hatte sie es wahrgenommen? Sicher nicht, es sei denn, sie hätte beschlossen, die Dinge nicht zu überstürzen. Kurzum, ich bemerkte zwar die Flasche Wild Turkey, die sie in der Hand hielt, aber ich spürte, daß mir wider Erwarten keine Gefahr drohte. Sie hatte den Blick gesenkt, ohne einen Ton zu sagen, und sich darauf beschränkt, das Glas zu füllen, das ich ihr wie versteinert hinhielt.
Während sie sich entfernte, hatte ich festgestellt, daß ich die gesamte Aktion hindurch den Atem angehalten hatte. Herr im Himmel, nie zuvor hatte ich sie so schön gefunden. Sang sie in der Stadt, beugten sich alle Typen in den vorderen Rängen vor, selbst wenn sie in Hosen auftrat, und ich nicht anders als die andern, obwohl ich zwanzig Jahre älter war als der Durchschnitt. Aber an diesem Abend – und von Stunde zu Stunde mehr- übertraf sie alles, was man sich erträumen konnte, es fiel mir schwerer und schwerer, mir dies zu verhehlen, und ich hatte eine bittere Ahnung der morbiden Faszination, die das Opfer beim bloßen Anblick seines Henkers erfüllt.
Ich erklärte Bernie, was ich empfand. Er mußte nicht lange nachdenken, um mir zu antworten, das Leben sei kurz. Das war leider genau das, was ich nicht hören wollte. Ich hatte gehofft, er würde mir ein wenig Mut machen, mich freundlich schütteln und mich auf den rechten Weg zurückweisen, doch so war er mir keine Hilfe. Nach und nach fiel mir wieder ein, daß die großen Kämpfe allein ausgefochten werden. Also untermauerte ich unverzüglich meinen wankenden Entschluß. Aber daß ich seit so vielen Monaten keine Frau mehr angerührt hatte, das war schwer beiseite zu wischen, das bedeutete ein schweres Handicap. Und mochte ich mir dessen ungeachtet auch wenig Sorgen machen, so war mir doch bewußt, daß ich schon einen weitaus leichteren Stand in meinem Leben gehabt hatte.
Paul war mir böse, er hatte eine Grimasse geschnitten, als ich ihm vorschlug, von etwas anderem zu reden. Zur Zeit quatschte er mit Marty und tat so, als hätte er mich vergessen. Ich sagte mir gerade, unsere Freundschaft werde es überleben, als Hermann, der sich endlich darauf besann, nachzusehen, wie es seinem Vater ging, an meine Seite kam und einen Arm um meine Taille schlang. Ich fühlte mich ermächtigt, ihm meinen Arm um den Nacken zu legen.
- Alles klar …? fragte er mich.
Ich sparte mir die Mühe, ihm zu antworten. Ich wollte nur, daß er damit nicht aufhörte, denn wie immer stimmte mich das Glück traurig, und der Abend war noch nicht vorüber. Er war noch keine siebzehn Jahre alt, und seine Schultern waren bereits so hoch wie meine, ich hatte kein Verlangen, in den kommenden Jahren zusammenzusinken. Ich hatte Lust, ihn in meine Arme zu schließen, zugehe jedoch meine niederen Instinkte, ich wußte, daß er mir bereits so ziemlich das höchste der Gefühle gewährte. Ich war besoffen, strahlte jedoch in diesem Augenblick eine
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