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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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angekommen, wurde mir, während ich oben die Tür schlagen hörte, jäh bewußt, daß ich plötzlich zu Fuß war, um Mitternacht, Kilometer von Sarahs Haus entfernt, völlig aufgeschmissen in einem menschenleeren Viertel und einer Kälte wehrlos ausgeliefert, die mir auf einmal in den Ohren zu kreischen schien, und da dachte ich, der arme Dan, sieht man von seiner Ehre ab, ist verloren.
    Ich machte also kehrt und setzte mich ans Steuer des Fiat. Wie Nietzsche schon sagte, man muß den Mut haben, die Dinge so zu sehen, wie sie sind: tragisch.
     
    Während ich gedankenverloren durch die Stadt zurückfuhr, versetzte mich die mollige Wärme, die im Innern des Wagens herrschte, in einen solchen Gemütszustand, daß ich in der Nähe des Gymnasiums beschloß, kurz bei Max hereinzuschauen. Wenn er noch nicht schlief, würde ihm, vermutete ich, ein kleiner Besuch bestimmt Freude machen, und so hielt ich mit einem Lächeln um die Lippen vor seinem Haus an. Ich hatte zwar Lust, zu den anderen zurückzukehren, mein Spielchen mit Elsie wieder aufzunehmen, mich zu amüsieren und weiter zu trinken, aber es war gut, diesen Augenblick hinauszuzögern, solange meine Vorfreude noch wuchs, und wie sanft war die Dunkelheit, die mich umhüllte, und je mehr ich meine Schritte zurückhielt, um so heller würde das Licht strahlen, in dem mein Heil gedieh.
    Max war noch auf. Ob Tag oder Nacht, erklärte er mir geduldig, das mache für ihn keinen großen Unterschied, er schlafe, wenn er könne, und für kurze Zeit, aber so oft, daß dabei zehn, zwölf Stunden rumkämen, da brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Schön und gut, sagte ich, trotzdem ziehe sich diese Grippe für meinen Geschmack ganz schön in die Länge, und daß es einen so heftig erwischt habe, hätte ich noch nie gehört, er solle mir bloß keinen Quatsch erzählen. Ob er wenigstens etwas dagegen tue, ob er zum Arzt gegangen sei, ob er sich endlich entschlossen habe, dieses verdammte Telefon reparieren zu lassen …?
    - Du gehst mir auf die Eier, Danny, kümmer dich um deinen Kram …!
    Wir beschlossen, den Weihnachtskuchen zu verzehren, auf einer Ecke des Bettes, einen Teller auf den Knien und bei einer Flasche Weißwein, die ich im Gemüsefach aufgestöbert hatte.
    Obwohl er nur ein Glas trank, hatte ich den Eindruck, daß sich seine Wangen ein wenig röteten, und es gelang mir sogar, ihm ein Lächeln zu entlocken, als ich ihm von meinem Clinch mit Elsie erzählte und wie sie mich auf offener Straße beinahe erschlagen hätte, allerdings bauschte ich die Sache ein wenig auf.
    - Ah! Immer haste Scherereien mit den Mädchen …! gluckste er leise. Ich hab sowas leider nie erlebt …!
    Ich versicherte ihm sogleich, er wisse nicht, wovon er rede, und wenn er das lustig finde, für mich sei es das noch längst nicht, was immer er sich vorstelle. Sein Blick wurde zu Stahl.
    - Weißt du, Danny … In meinem ganzen Leben hat nicht eine Frau ein Auge auf mich geworfen … Ich glaube kaum, daß du das nachvollziehen kannst.
    Zum Glück hatte ich mein Stück Kuchen noch nicht auf. Ich konzentrierte mich darauf, obwohl es widerlich nach Kühlschrank schmeckte und innendrin noch völlig gefroren war, aber angesichts des Elends, das so manchen widerfuhr, hätte ich alles mögliche gegessen, ohne mit der Wimper zu zucken.
    - Weißt du, ich glaube, wenn mich eine Frau niedergeschlagen hätte, ich hätte vor Freude geheult …! setzte er von neuem an.
    Ich zwang mich dazu, ihn anzusehen, und nickte.
    - Tut mir leid, daß ich dich mit meinen Geschichten betrübt habe …. murmelte ich.
    Er beruhigte mich, es sei halb so schlimm, verstummte jedoch für eine ganze Weile, um seinen Kuchen genau unter die Lupe zu nehmen, ihn mit der Spitze seines Löffels umzuwenden und träge, mit ausdruckslosem Gesicht zu piesacken. Er war fast schon ein Greis, diese verdammte Grippe hatte ihn ganz schön tatterig gemacht, auch wenn sein Leiden im Grunde älter war, denn alle Welt war sich einig, daß sein Niedergang begonnen hatte, als man ihn vom Gymnasium gefeuert hatte, aber das, das hätte selbst ein Blinder mit zurückgebliebenem Denkvermögen gemerkt.
    Ich verließ ihn kurz darauf, als ich sah, daß ihn meine Unterhaltung einschläferte. Ich klopfte ihm notdürftig die Kissen zurecht und machte mich auf Zehenspitzen davon, nachdem ich der Katze die Reste des Kuchens gegeben und einen letzten hilflosen Blick auf ihr Herrchen geworfen hatte.
    Die Straßen waren wie ausgestorben. Das war natürlich nicht

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