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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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überflüssige Enttäuschungen, sagte ich mir. Kümmere dich um deinen Kram.
    Ich mied ihren Blick und schwankte einen Moment, dann teilte ich ihr mit, ich käme. Ich sei aber groß genug, allein zu gehen. Erst spürte ich ihre Hand zögerlich auf meinem Bizeps, sie sagte keinen Ton, doch dann spürte ich an der Art, wie sie meinen Arm losließ, sehr deutlich ihre Enttäuschung, ihren Kummer, ihre Erniedrigung und die darauf folgende Verärgerung. Gefesselt von der unendlichen Feinheit des Phänomens, das um so wundervoller war, als es nicht die Frucht einer Umklammerung, sondern einer Lockerung war – anders gesagt, ich wäre weniger entzückt gewesen, wenn sie meinen Arm befummelt hätte –, kehrte ich den Kopf gen Himmel und ertappte mich bei einem Lächeln, während sie sehr schnell ins Haus zurücklief. Ah, sämtliche Nuancen ihrer Aufregung hatte ich wahrgenommen, als sie ihre Hand zurückzog …! War ich denn gar so erbärmlich, wie ich behauptete, wenn ich derart feine Wunder erfassen konnte, war das einem jeden Dahergelaufenen vergönnt …? Das war schwer zu sagen, dennoch, ich fühlte mich besser.
    Ich ging also ins Haus zurück und kredenzte mir ein Glas, ich postierte mich neben Gladys, auf der Armlehne ihres Sessels, und beobachtete das unwiderstehliche Stapeln der Geschenke, die man zu Füßen des Baumes trug. Sarahs Tannenbaum war nur ein schwacher Abglanz des meinen, aber er nahm Gestalt an, je mehr man ihn beehrte, so als wären diese Geschenke für ihn bestimmt, und beinahe alle Blicke waren auf ihn gerichtet – sollte sie sich ruhig entsinnen, was sie mir angetan, und bloß nicht darauf bauen, meinem Gesicht nach all den Nächten, die sie mir verdorben hatte, das geringste Zeichen von Versöhnung zu entnehmen, sollte sie sich ruhig in Gedanken an mich wichsen, o ja, wer weiß, vielleicht war das schon geschehen, sagte ich mir, plötzlich angeregt, wer weiß, vielleicht hatte sie sich längst angewöhnt, meinen Namen zu murmeln, wenn sie sich wienerte.
    Entzückt ob dieser Vermutung, zugleich grausam gestimmt, erhob ich mich, legte Pretty Woman auf und kehrte mit Unschuldsmiene an meinen Platz zurück. Der Alkohol haute mich buchstäblich um, aber eine dunkle Kraft bewahrte mich davor, zusammenzubrechen, und mein Verstand vermochte die Dinge weiterhin irgendwie zu registrieren. Ich fühlte mich ein wenig matt, aber daß man sich bloß nicht darauf verließ, daß man sich sogar in acht nahm, denn mir entging nichts, und mein Blick wanderte gelassen über die Versammlung und fuhr mit einer Sicherheit, die man mir bei meinem Anblick nur schwer zugetraut hätte, in die Herzen hinein. Stehenbleiben, geradeaus gehen, jede noch so geringe Bewegung bereitete mir allmählich Probleme. Aber mein Unbehagen war harmlos, ach, wie lächerlich erschien mir zuweilen der Preis der Dinge in diesem Leben, und wie leicht ging mein Atem!
    Daß ich mich so gut hielt, daß ich noch die Kraft hatte, diesen Körper aus Blei zu manövrieren, lag daran, daß mir noch eine Sache zu sehen blieb, etwas, das ich um nichts in der Welt hätte verpassen wollen. Diese Nacht war genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, die letzte einer langen Reihe, und ich war entschlossen, sie bis zum Schluß zu begleiten, ich wollte sie enden sehen, mich vergewissern, daß sie sich nicht mehr rührte, bevor ich zur Tür hinaus ging. Nicht, daß ich mir eine dieser wunderbaren und endgültigen Morgenstunden erhoffte, die man im Leben nur selten zu sehen bekommt, aber ich ahnte den Duft des Neuen, das Zittern des jungen Tages, und das reichte mir vollauf. Ich wußte, daß das nicht das Ende meiner Sorgen war, ich wußte, welch Schlamassel meiner harrte, doch trotz allem überflutete mich ein Lächeln. Ich wünschte mir nur, daß Hermann seinerseits zu Rande kam. Bevor ich besoffen umfiel, wollte ich sehen, wie sich die Sache für ihn entwickelte. Ich hatte ihn nicht entmutigen wollen, ich hatte ihm nicht gesagt:
    - Was immer du tust im Glauben, ihnen zu gefallen, ein Risiko besteht immer.
    Als es soweit war, stand ich auf, um meine Geschenke einzusammeln. Ich mußte mich fürchterlich zusammenreißen, um diese simple Aktion durchzuführen, erheblich mehr, als ich gedacht hätte.
    - Ah, nur ein wenig mehr, sagte ich mir, und du hättest den Bogen überspannt …!
    Die Welle der Benommenheit überwindend, die dumpf sich abzeichnete, ließ ich mich, als könnte ich kein Wässerchen trüben, an Hermanns Seite nieder, ohne daß er dessen gewahr

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