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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Form beschieden war, versteifte ich mich doch halsstarrig und beinahe unbewußt darauf, weiter zu picheln.
    Die Reihen waren wieder dicht gedrängt. Ich liebte diese späten, etwas vagen Stunden über alles, die ersten Zeichen der Erschöpfung, die leicht zerknitterten Kleider, das Durcheinander der Räumlichkeiten und die Verlangsamung der Dinge, ich war der Kerl, der sich darum kümmerte, die etwas zu grellen Lichter zu dämpfen, der von einer Gruppe zur anderen irrte wie eine Biene, die ihren Honig aus unwägbaren Partikeln zusammenstellte hier eine Geschichte, dort irgendein Unsinn, und wenn ich auch keine Bücher mehr schrieb, dieses Vergnügen war mir ebenso geblieben wie die Faszination, die meine Mitmenschen und alles, was mit dem Großen Theater der Welt zusammenhing, auf mich ausübten.
    Elsie und Sarah unterhielten sich, und mir rauschten die Ohren. Da ich sie kannte, sorgte ich mich ein wenig, was bei einem solchen Gedankenaustausch herauskommen konnte, denn es sprang selten etwas Gutes heraus, wenn zwei Mädchen die Köpfe zusammensteckten. Ich trat für einen kurzen Moment in den Garten hinaus, um Luft zu schnappen, und die Kälte erschien mir weniger klirrend als noch gegen Mitternacht, aber ich hätte nicht sagen können, ob das an ihr lag oder an mir. Ich tränkte meine Trommelfelle in dem reinen Wasser des Schweigens, dann füllte ich meine Lungen mit einem Schwall frischer Luft. Ich erblickte den Fiat auf der anderen Straßenseite, weiß wie eine Lilie und ohne einen Kratzer, und ich dachte ein wenig darüber nach. Aber für den Augenblick blieb der Himmel stumm wie ein Fisch, und ich mußte mich hüten, meine Aufmerksamkeit zu sehr darauf zu konzentrieren, wenn ich nicht der Länge nach hinfliegen wollte, denn mittlerweile gaben meine Beine nach und sträubten sich gegen ihre Aufgabe, und mein ganzer Körper schwankte, von Zeit zu Zeit kippte ich hintenüber, vermied nur mit knapper Mühe einen Sturz, so daß ich auf dem gefrorenen Rasen taumelte, ihn mit meinen Füßen zertrat wie einen Teppich aus Eiswaffeln.
    Einen kurzen Moment wäre ich fast der Versuchung erlegen, hätte ich mich beinahe auf den Boden gelegt, überzeugt, dies sei mein wahrer Platz, im Grunde verdiene ich nichts Besseres. Das hatte ich mitunter, daß ich urplötzlich in den tiefsten Brunnen purzelte, verbittert feststellte, daß ich nicht viel taugte. Dieser Gefahr setzte ich mich ganz besonders aus, wenn ich zuviel getrunken hatte. Dann konnte ich nur zu gut verstehen, warum mich Franck verlassen hatte und warum in meinem Leben nichts so recht klappte. Ich war darüber dann so betrübt, daß mir die Tränen in die Augen stiegen. Was diese traurigen Gemütszustände hervorrief, wußte ich nicht genau, aber ich nannte es einen üblen Suff, wenn es mit mir nicht aufwärts gehen wollte, ich vertrieb mir dann die Zeit damit, sämtliche Leute abzuklappern, die ich kannte, um nur ja niemand zu finden, der so beklagenswert war wie ich. Wie viele unnütze Mühe hatte ich nicht darauf verschwendet, mich selbst zu erforschen, in der verzweifelten Hoffnung, wenigstens eine gute Eigenschaft in mir zu entdecken, nur einen einzigen Grund, noch einen Funken Achtung vor mir zu haben. Dabei war ich geneigt, auch nur den geringsten Schimmer willkommen zu heißen, mich sogar anzuspornen, wenn ich endlich etwas in der Hand hatte, aber nichts hielt einer eingehenderen Prüfung stand, und die Zweige brachen einer nach dem ändern ab, und mein Sturz nahm kein Ende. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als in einem letzten Aufbäumen darauf bedacht, mir einen tristen Morgen zu ersparen, möglichst früh die Hand nach meinem Röhrchen Alka Seltzer® auszustrecken.
    Doch in diesem Augenblick der Verwirrung, die ständig schlimmer wurde – ich hatte eben beschlossen, bis zehn zu zählen und mich dann auf die Erde zu werfen –, kam jemand herbei, um mich mit sanfter Stimme aus der trostlosen Betrachtung meiner Seele zu reißen, deren ganze Erbärmlichkeit ich wieder einmal ermaß. Es war Elsie, die mich, meine Entrücktheit nutzend, am Arm faßte, um mir zu eröffnen, man warte auf mich, und ob ich verrückt sei, draußen herumzustehen. Fast hätte ich sie an Ort und Stelle gefragt, was sie an mir fand. Ich verzichtete jedoch darauf, denn was immer sie vorgebracht hätte, ich machte mich anheischig, ihr zu beweisen, daß sie sich irrte, in Nullkommanichts hätte ich ihn ihr demoliert, ihren Dan.
    - Schon gut, ersparen wir uns beiderseits

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