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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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absolute, fast schmerzliche Klarheit aus.
    - Wann kommen die Geschenke dran …? fragte er mich und neigte leicht den Kopf zu mir herüber, ohne jedoch die Ecke, in der sich Gladys aufhielt, aus seinen schmachtenden Augen zu lassen, worauf ich ihm erwiderte, er habe keinen Grund, sich den Kopf zu zerbrechen, und alles komme zu seiner Zeit, wann genau, wüßte ich nicht, wahrscheinlich müßten wir abwarten, bis Sarah grünes Licht gab.
    Ich hatte nicht den Eindruck, daß er mir richtig zuhörte. Ein dämliches Lächeln verklärte seine Züge, und fast hätte er mich damit angesteckt, wäre nicht gegenüber der Spiegel gewesen, der mich warnte und mir zu der Einsicht verhalf, daß ein glückseliger Schwachkopf in der Familie vollauf reichte, daß es besser war, dergleichen nicht auszuwalzen.
    - Meine Güte, guck nicht so …! schimpfte ich ihm ins Ohr. Mach mir keine Schande, mein Junge, reiß dich zusammen …
    Lachend schüttelte er den Kopf, den Blick auf seine Füße gerichtet.
    - Ah! Ich weiß … Ich kann aber nicht anders …! Stell dir vor, sie hat mich angesprochen … !! Aahh, ich kann es immer noch nicht fassen …!
    Ganz hingerissen von dieser schlichten Erinnerung, ließ er mich los und rieb sich die Hände. Unter diesen Umständen, darauf bedacht, die Grenzen nicht zu überschreiten, nahm ich meinen Arm von seinen Schultern.
    - Hmm, ich hoffe, das hast du nicht von mir, sinnierte ich. Das Glück braucht mich nur zu streifen, schon schnürt mir ein Funke Ungläubigkeit das Herz zusammen … Naja, ich stimme dir zu, besagtes Glück ist eines der seltsamsten Gefühle, die einen ergreifen können, insofern ist es voll und ganz verständlich …
    - Weißt du, unterbrach er mich, ich habe trotzdem den Eindruck, als Geschenk ist das ein wenig riskant. Vielleicht war das doch keine so blendende Idee, wie ich dachte. Wer weiß, vielleicht gefällt es ihr am Ende überhaupt nicht …!
    Ja, es war unbestreitbar, daß er ebensoviel Mühe hatte, Ruhe zu bewahren, wie ich, mich auf den Beinen zu halten. Und nichts ging mir mehr ans Herz. Kein Zweifel, in unseren Adern floß das gleiche Blut, leitete ich schlicht daraus ab. Waren wir nicht ein Herz und eine Seele …? Zum Glück brauchte man nicht unbedingt nüchtern zu sein, um eine solch offenkundige Tatsache festzustellen, eine solche Selbstverständlichkeit konnte einem nicht entgehen, ganz gleich, wie voll man war.
    - Merk dir eins, Hermann … Es ist wichtig, sich davon zu überzeugen, daß ein Mädchen ein wenig Humor hat … Naja, jedenfalls nachher.
    Ich hoffte, er würde darüber nachdenken. Was das anging, hielt ich es mit dem berühmten Prinzip von Montaigne: Ein Kind zu unterweisen, heißt nicht, ein Gefäß zu füllen, sondern ein Feuer zu entfachen. Nebenbei bemerkt: ich muß gestehen, daß ich die Schriftsteller, die meine Reisegefährten waren, nicht mehr zählen konnte, jene, die plötzlich – und sei es nur für ein Wort – neben mir auftauchten, jene, die mein Leben erhellten, oh, und jene, die mir die Hand gereicht hatten, jene, die Worte gefunden hatten, mich aufzumuntern, jene, deren Stimme mich leitete, wenn ich mich verirrt hatte, und jene, die nicht mehr von meiner Seite wichen, die mir Tag für Tag neue Kraft gaben. Während Hermann, von gräßlichem Zweifel geplagt, von einem Bein aufs andere hüpfte und ich im Begriff war, mein Glas zum Gedenken an meine Lieblinge oder auf das Wohl einiger weniger zu leeren, brach Harold, wandelndes Unheil in Person, über uns herein:
    - Na, was habt ihr euch Schönes zu erzählen, ihr zwei …?!
    Ich warf ihm einen drohenden Blick zu, ohne daß ihn das im mindesten berührte, er hatte etwas unendlich Zartes zerstört, etwas, das er mit seinem stumpfsinnigen Kalifornierkopf nicht verstehen konnte, vermute ich. Und es war, als hätte er eine teuflische Maschinerie in Gang gesetzt, denn nach ihm kamen andere, um unser Tete-ä-tete zu zertrampeln, und so wurden Hermann und ich von zwei entgegengesetzten Strömen davongetragen, und ich blickte ihm nach, verzichtete aber darauf zu kämpfen und ließ mich ohne einen Schrei des Protests verschlingen.
    Armer Hermann, es dauerte noch eine Weile, bis die ersehnte Stunde schlug. Wie eine Zwillingsblume, so wuchs seine Angst im Rhythmus meines Zusammenbruchs, aber wie dem auch sei, wir waren beide noch an Deck, ungemein pflichtgetreu, der dumpfen Heftigkeit der Aufgabe zum Trotz. Was mich betraf, grenzte es an eine Art von Wunder, daß mir immer noch eine relative

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