Rückgrad
hörte mich nicht.
Gladys hatte inzwischen ein kleines, durchsichtiges Fläscchen in Händen, das sie mit vergnügtem Lächeln betrachtete. Einst hatte es ein Parfüm enthalten, das mich gewiß bis an mein Lebensende verfolgen wird. Hermann hatte es zwei Tage lang mit Geschirrspülmittel gefüllt und anschließend an der frischen Luft trocknen lassen, bevor er es sich wieder vorgenommen hatte. Zuweilen wehte Francks Geist mit unglaublicher Deutlichkeit durch unser Haus, und ich mußte aufstehen, um die Fenster zu öffnen, oder ich ging vor die Tür. Kurz und gut, Gladys hielt es also in der Hand. Und fing an, sich Fragen zu stellen.
Hermann hatte den Gedanken, seinem Geschenk einen Brief beizulegen, sehr schnell wieder aufgegeben. Nach einigen unbefriedigenden Versuchen, bei denen offenbar nichts Gescheites herauskam, sobald er mehr als drei Worte aneinanderreihen wollte, hatte er mich hinzugerufen, damit ich meinen Finger auf das Band hielt, während er den Knoten fabrizierte, und mir mitgeteilt, daß er darauf verzichte, ihr zu schreiben, er finde das ohnehin ziemlich bekloppt.
- Nein, ehrlich, ich habe darüber nachgedacht … Ich glaube, es ist viel einfacher, es ihr zu sagen, weißt du …
Ich hatte ihm keine Antwort gegeben. Ich hatte mir gedacht, daß er im Grunde vielleicht recht hatte und daß seine Schauspielerei endlich zu etwas gut war.
Ich war mir bewußt, daß sich Elsie eng an mich schmiegte, daß sie mir arg zusetzte, wenn sie eines meiner Beine beinahe zwischen ihre preßte und ihren Unterleib an meinem Oberschenkel rieb. Und ich sagte mir, Herrgott nochmal, warum hat er ihn nicht geschrieben, diesen verflixten Brief?
Als Gladys das Fläschchen öffnete und sich anschickte, den Duft tief einzuatmen, brachte Hermann es fertig, die Augen niederzuschlagen.
- Ah, immer besser …! knurrte ich.
- Oh, Dan, Liebling … Es ist so lang her …!
Sie war auf dem Holzweg. An diesem Gefühl des völligen Ausgelaugtseins, an dieser Weltuntergangsstimmung, die mich am Ende dieses schmerzlichen Jahres erfaßt hatte, war sie nicht ganz unschuldig. Zusätzlich zu den Sorgen, die mir meine Umgebung bereitete, und zu meiner finanziellen Notlage hatte sie mich durch eine große emotionale Wüste und ein sexuelles Nichts tappen lassen, die allein ausgereicht hätten, mich flachzulegen. Ich wimmerte nicht, man solle mir den Gnadenstoß geben, aber ich fühlte mich am Ende dieser langen Prüfung furchtbar kraftlos und sogar sehr schwach auf den Beinen. Ich war also nicht mehr imstande, ein Lächeln aufzusetzen, zumal im Augenblick eine dringendere Angelegenheit eine ganz andere Aufmerksamkeit erforderte.
Während sie das Fläschchen wieder unter ihre Nase hielt, überlegte Gladys von neuem. Es war unschwer zu erraten, was ihr durch den Kopf ging, sie dachte:
- Verflixt, ich will gehängt sein, wenn das kein Wasser ist …! Sie versuchte es, indem sie die Augen halb schloß, dann gab sie auf.
- Puh, ich passe! schien sie zu sagen.
Dann richtete sich ihr Blick auf Hermann. Ihr Gesicht war nur mehr eine sanfte Frage, was ihm sicher gefallen hätte, wenn er seine Augen weniger stur auf den Boden geheftet hätte.
- Soll ich’s dir sagen …? Naja, das sind seine Tränen ! informierte ich sie mit samtener Stimme, indem ich, so behende ich in meinem gehemmten Zustand nur konnte, hinter ihr aufkreuzte.
- Seine was …?!
Sie hatte die Augen aufgerissen und starrte uns an, Elsie und mich, als wollte sie fragen, ob wir sonst noch was auf Lager hätten. Für einen Augenblick gab ich mich der Illusion hin, Hermann werde sich bei diesen Worten einen Ruck geben und mir zu Hilfe eilen, aber diese verzweifelte Hoffnung mußte ich sehr schnell fahren lassen. Da maß er fast einsachtzig, hängte einen im Laufen ab und machte auf abgebrüht, aber daß ich nicht lache, bei der geringsten Herzensangelegenheit war das alles wie unter den Teppich gekehrt.
Ich war dermaßen am Ende, daß ich fast zusammenbrach. Ich hatte den Eindruck, als wäre ich verschüttet, als lastete die Decke auf meinen Schultern, Elsie war vollkommen weggetreten, sie klammerte sich an mich, schmiegte sich an meinen Hals und versuchte mir ihre Zunge ins Ohr zu schieben. Mein ganzer Körper war steif, so viel Anstrengung kostete es mich, aufrecht stehen zu bleiben. Die finstere Lawine der Leiden, über die ich unsinnigerweise nachgrübelte, zerriß mir das Herz.
- Ach, Dan …! sagte ich mir. Wird dein Martyrium jemals enden …?!
- Paß auf, Gladys
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