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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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übereinander und musterte, den Kopf nach hinten geworfen, seelenruhig die weißgetünchte Decke. Es gab derart viele Dinge im Leben, die mir Anlaß zur Überlegung gaben, daß ich nicht den Eindruck hatte, ich vergeude meine Zeit. So zum Beispiel diese Geschichte mit dem Kokoshühnchen, auf dem ich sitzengeblieben war, all diese Geschichten zwischen einem Vater und seinem Sohn.
    Ich liebte es nicht, Salz in die Wunden zu streuen, aber bisweilen hatte ich das Verlangen, alte Fotos zu betrachten – was nicht ganz einfach ist –, und dazu wählte ich diese Momente, wenn die Stille und ich eins waren.
    Zu allem Überfluß rief Eloise Santa Rosa immer noch nicht an. So daß ich feuchte Hände bekam, daß mich eine Gänsehaut überzog, daß sich mir die Härchen auf den Beinen sträubten. Das hatte man davon, wenn man den Fehler beging, alles auf eine Karte zu setzen. Sollte sich nicht jeder normale Typ mindestens eine Ersatzfreundin halten, gebärdete ich mich nicht wie der letzte Idiot? Naja, das war leicht gesagt, und nur aufgrund meines ständigen Lamentierens würde bestimmt keine Frau aus dem Boden schießen und mir wortlos mit der einen Hand ihr Höschen reichen und mit der anderen nach meinem Slip greifen.
    Der Wein hatte mich leicht benebelt, aber das hatte keine Bedeutung. Ich stand auf, um mir das Fotoalbum zu angeln, und kehrte zu meinem Platz zurück, zu meinem stillen Lagerplatz. Ich ließ es einen Augenblick zugeklappt auf meinen Knien liegen, ohne mich deshalb gleich vor der Pforte einer Kirche zu wähnen, aber so fing ich immer an, ich bereitete mich ganz langsam darauf vor. Es war mir gelungen, dieses Album in Sicherheit zu bringen, als Franck ihre Koffer gepackt hatte. Später hatte sie es mehrmals von mir gefordert, aber ich hatte ihr versichert, daß ich es nicht mehr zwischen die Finger bekommen hätte, sei sie sich denn ganz sicher, es nicht selbst mitgenommen zu haben, hatte sie diesen Schwachkopf von Abel schon gefragt, hatte sie wirklich überall nachgesehen? Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie sich am anderen Ende der Leitung auf die Lippen biß, und ich schwieg, ich hörte sie atmen, ich hörte, daß sie wegen dieser paar Fotos einer Ohnmacht nahe war, und ich, hatte ich nicht nächtelang geschrien?
    Ich habe mich lange gefragt, ob sie sich nur für Hermann interessierte oder ob sie uns alle drei Seite an Seite haben wollte, mysteriöserweise vereint auf den meisten Negativen, seit ich das Prinzip des Selbstauslösers entdeckt hatte, mysteriöserweise eng umschlungen, denn meistens rannte ich einfach los, Franck im einen, Hermann im ändern Arm, besonders originelle Einfalle hatte ich nie gehabt. Das war eine interessante Frage. Ich brauchte eine Weile, um mir darüber klarzuwerden, daß ich auf diese Frage nie eine Antwort finden würde, daß ich sie mir ein für allemal aus dem Kopf schlagen konnte.
    Hermann war neun Jahre alt, als wir uns hatten scheiden lassen. Die Fotos rissen an dieser Stelle ab, so als schauderten sie vor einem Abgrund. Das war so schlimm gewesen, daß ich mich frage, wie wir es überhaupt geschafft haben zu lächeln und woher dieser verzweifelte Starrsinn rührte, mit dem wir uns immer noch auf ein Foto bannten. Jedesmal, wenn ich dieses Album aufschlug, hatte ich den Eindruck, es handele sich um ein anderes Leben und todsicher um einen anderen Typen als mich, ich konnte es kaum glauben. Ich griff mir aufs Geratewohl eines der Bilder heraus, ich hielt es mir vors Gesicht und betrachtete es aufmerksam, studierte es bis ins letzte Detail, versuchte, sein Geheimnis zu ergründen, bis ich anfing zu schielen. Das war nicht ich. Ich hatte keine Frau. Kein Kind mehr, das auf meine Knie hüpfte. Ich machte kein so vergnügtes Gesicht wie dieser Typ da.

3
    Elsie trat erst eine Woche später wieder in mein Leben, als ich so gut wie gar nicht mehr schlief und mir die Augen aus dem Kopf traten.
    - Ah, Scheiße, wo hast du gesteckt …!? stammelte ich.
    - Dan, Dan, mein Schatz, es ist soweit …! ES IST SOWEIT, ICH HAB’S GESCHAFFT …!!!
    - Verdammt nochmal, Elsie, wir haben uns seit drei Wochen nicht mehr gesehen! Ich bin bald verrückt geworden, hörst du …?!
    - Halt dich fest, Danny … ICH HAB UNTERSCHRIEBEN, ICH HAB ENDLICH UNTERSCHRIEBEN …!!
    Wir hatten uns in einer Bar in der Innenstadt verabredet, dem Durango, vielbesucht, sobald die Nacht hereinbrach, und gegen Morgen so gut wie menschenleer. Sie saß auf einer Bank im hinteren Teil, vor einer heißen

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