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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Gruppe Ausgehungerter hatte sich in der Küche verschanzt und mopste die Ladenhüter und meine letzten Flaschen Wein. Ich konnte am Geräusch erkennen, was sie trieben, welche Schublade sie öffneten, welchen Schrank sie belagerten und ob sie kaltes oder warmes Wasser laufen ließen und wie oft sie den Griff des Kühlschranks betätigten. Wenn ich mich trotz allem recht wohl fühlte, dann lag das zum großen Teil daran, daß ich bei mir zu Hause war und fast das Empfinden hatte, überall auf einmal zu sein, ich kannte den Geruch des Gartens, ich wußte, wie es war, dort nächtens in den Armen eines Liegestuhls zu träumen, es gab in dieser Bude keinen Winkel, den ich nicht kannte, und ich brauchte nicht umherzuwandern, um das alles zu genießen.
    Ich strich mit einer Hand über den Teppichboden. Ich hatte mich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und die Beine ausgestreckt. In dieser angenehmen Haltung konnte ich zwei, drei Mädchenschlüpfer erspähen, und ich weidete mich an ihrem Anblick, ohne jedoch Arges zu denken. Tatsächlich nahm ich nur Anschauungsunterricht, ich stellte fest, daß die Mode wieder auf Weiß zurückgekommen war und daß es einen Durchbruch in puncto Spitze und Satinhöschen gegeben hatte. Ein leichter Stich brach mir das Herz, als eine von ihnen die Beine übereinander-schlug, doch sogleich vollführte sie die gleiche Bewegung in Gegenrichtung, und alles fügte sich wie von Zauberhand wieder zusammen.
    Leider versteckte sich Elsie hinter meinem Hals, um ein Gähnen zu unterdrücken, und sie nahm die Gelegenheit wahr, mich zu fragen, ob ich ein Schatz sein wolle, was ich ihr selbstredend nicht abschlagen konnte, ob ich so lieb sein wolle, ihr ein Glas kaltes Wasser zu holen, das wäre unheimlich nett von mir. Ich dachte lieber nicht darüber nach, und ich sagte mir, daß ich in weniger als dreißig Sekunden meinen Platz wieder einnehmen konnte, vielleicht würde ich nicht einmal etwas merken.
    Im nächsten Moment schnellte ich vom Boden hoch, überrascht, daß ich zu einer solchen Übung noch fähig war. So viel war es eigentlich noch gar nicht, worum ich einen zwanzigjährigen Knaben zu beneiden brauchte, nur sehr wenig, aber das war schon Haarspalterei. Im Grunde war das keine üble Idee, sich die Beine zu vertreten, auch andere als ich schienen daran gedacht zu haben, und ich begegnete einigen, die sich noch aufrecht hielten und von einem Zimmer ins andere irrten, und wir lächelten uns im Vorbeigehen an oder erkundigten uns gegenseitig, was es Neues gebe.
    Über den Daumen gepeilt, schätzte ich, blieb mir noch ein Spielraum von zwei, drei Gläsern, dann würde sich die Lage ernstlich zuspitzen, vielleicht noch ein paar mehr, wenn ich mich dazu durchrang, einen Happen zu essen, aber da war nichts, was mich wirklich reizte. Der kümmerliche Rest, der einem noch zwischen die Finger geraten konnte, zog traurige Grimassen oder starb auf dem Sonnenuntergang, der meine Pappteller zierte, schlicht und ergreifend vor sich hin. Ein paar junge Schriftsteller standen in der Küche beisammen, ein kleiner Teil des frischen Blutes der Literatur meines Landes. Es herrschte eine recht aufgeräumte Stimmung, denn diese Leute haben die Angewohnheit, alle zugleich zu reden. Und es war abzusehen, daß das bis zum frühen Morgen dauern würde, denn nichts ist widerstandsfähiger als ein unruhiger Geist und nichts beruhigender, als sich in Worten zu wiegen.
    - Na, alles klar, Jungs …? fragte ich sie in jovialem Ton, doch keiner von ihnen drehte die Nasenspitze in meine Richtung. Sie hatten mich sicher nicht gehört, aber es war auch möglich, daß der Klang meiner Stimme schwächer geworden war, seit ich kein Schriftsteller mehr war. Die Schuld mußte bei mir liegen.
    Also durchquerte ich inkognito die Küche, füllte mein Wasserglas und ging wieder hinaus, ohne ein Spur zu hinterlassen. Gelegentlich trauerte ich den Zeiten meines Erfolgs nach, ich hätte mir gewünscht, er liege mir wieder zu Füßen, und sei es nur für einige Minuten, nur um ihn noch einmal zu kosten und zu prüfen, ob meine Erinnerungen stimmten. Während ich durchs Wohnzimmer schritt, hätte ich die Hälfte dessen, was ich besaß, für eine Handvoll Mädchen gegeben, die, hochrot bei meinem Anblick, im Chor mit leiser, zittriger Stimme gemurmelt hätten:
    - Dan … Du bis’ uns’r Guru …!
    Leicht benebelt ob dieses hübschen Traums, reichte ich Elsie ihr Glas, verzichtete jedoch darauf, mich neben sie zu setzen. Paul war

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