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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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mich an, als betriebe ich Okkultismus. Sag bloß, du hast sie dir nicht näher angeguckt …!?
    - Hör mal, ich bin doch nicht der Volkszähler des Viertels … Außerdem war ich gerade bei Ahabs letzten Worten, du weißt doch, wenn er verkündet: Nun wend ich mich ab von der Sonne.
    Das schien ihn nicht zu beeindrucken. Er wiegte den Kopf hin und her und blickte zur Decke, was ihn nicht daran hinderte, sich ein Butterbrot von der Größe eines mittleren Surfbretts zu schmieren.
    - Ach verflixt …! erkannte er. Ein bißchen neugieriger könnteste schon sein …!
    Es herrschte eine fürchterliche Hitze, und der Himmel war so hell, daß wir von morgens bis abends unsere Sonnenbrillen aufhatten. Ich verzichtete sogar darauf, sie abzusetzen, wenn ich durchs Haus schlenderte, und die Zunge hing mir drei Meter zum Hals heraus, wenn ich vor dem Thermometer stehenblieb. Draußen auf der Straße ließen sich die Leute auf eine Bank fallen und warfen, die Hand über der Stirn, besorgte Blicke gen Himmel.
    - Ich muß gestehen, daß ich ein wenig enttäuscht war, vertraute ich ihm an. Stell dir nur den hinreißenden Anblick einer jungen Frau vor, die morgens ihre Fensterläden öffnet, bereit, dir ihr erstes Lächeln zu schenken …
    Er machte sich über sein Sandwich her und postierte sich damit am Fenster, beide Augen auf die Bude nebenan gerichtet. Er war im Laufe des Jahres ganz schön gewachsen, er war genauso groß wie Richard, sogar breiter in den Schultern, aber weniger muskulös, und seine Wangen waren noch glatt. Es war mir ein Rätsel, wie man den lieben langen Tag essen und dabei so dünn bleiben konnte.
    Ich shakte mir einen Eiscafé, dann kehrte ich unter meinen Sonnenschirm zurück, um die Ruhe auszunutzen und ein wenig zu meditieren. Man kann sagen, was man will, das Schriftstellerdasein hat doch einiges Gute an sich, und ich konnte mir noch so den Kopf zerbrechen, ich wußte keine andere Branche, in der ich eine solche Freiheit genießen konnte, falls ich zu meinem Leidwesen eines Tages dazu gezwungen sein sollte, umzuschulen. Ich versuchte nicht allzusehr daran zu denken, ich wußte, es würde mich umbringen, hinter einem Schreibtisch zu hocken. Ich betete Tag für Tag zum Himmel, daß mir eine Erbschaft oder sonstwas in den Schoß fiel, und nachts warf ich heimlich ein Geldstück aus dem Fenster.
    Hermann machte es sich neben mir bequem. Er zog einen Liegestuhl in die pralle Sonne und streckte sich, den Walkman über den Ohren, darauf aus. Das Schuljahr näherte sich seinem Ende, also legte er sich auf die faule Haut, sobald er nach Hause kam. Er ruhte sich auf seinem Schnitt von 11,5 aus, der ihn in die nächste Klasse versetzte, er fand, damit hatte er genug getan. Ich schenkte ihm gern Glauben, wenn er das sagte, mich interessierte ohnehin nur, ihn lesen zu sehen. Es war mir gelungen, ihm im Laufe des Frühjahrs den gesamten Hemingway sowie den ersten Band der gesammelten Werke von Blaise Cendrars unterzujubeln, und ich war der Ansicht, damit hatte ich einiges erreicht, das waren Dinge, die würde er sein Leben lang behalten, und sie würden ihm auf die eine oder andere Art helfen. Wenn alles glatt ging, hoffte ich ihm mit den ersten Sommertagen den großen Jack vorlegen zu können.
    Richard war sitzengeblieben, so daß sie sich nach den Ferien alle drei in der gleichen Klasse wiederfinden würden. Dieser kleine Betriebsunfall schien ihn jedoch nicht zu berühren, im übrigen fanden wir alle, seine Ergebnisse seien gut genug, man brauchte bloß ein paar Monate zurückzugehen, zu jener Zeit, als er allen auf die Nerven gegangen war, um sich über die Fortschritte zu wundern, die er gemacht hatte. Auch wenn sich dies Herz voll Zorn sicher nicht in ein Lamm verwandelt hatte, so konnte man sich dennoch freuen, daß Richard ein gewisses Gleichgewicht gefunden hatte. Sarah bebte immer noch vor Rührung, wenn sie bedachte, daß sie beinahe nein gesagt hätte.
    - Meine Güte, Dan, erinnere dich … Ich war kurz davor, seine Katze rauszuschmeißen!! Ah, Herr im Himmel, ich muß eine Erleuchtung gehabt haben …! Konnte ich denn ahnen, daß da solch ein Sonnenschein in unser Haus kam …?
    Sie war völlig aus dem Häuschen, und manchmal stieß sie mich mit dem Ellbogen in die Seite, wenn wir ausgingen und Richard vor dem Fernseher sitzen sahen, mit entspanntem Gesicht, eine Hand auf Gandalfs Kopf, der zwischen seinen Knien schnurrte.
    Hermann und Gladys waren zwar noch auf der Hut, wenn er zugegen war, aber ich

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