Rückkehr in Golgrimms wundersame Welt (German Edition)
schon die winzigen Krallen seiner Flügelchen in die riesigen Ohren hinein. Mit einem angewiderten hochziehen seiner Lefzen flatterte Servatius zum Regal zurück und kehrte mit einer Küchenwaage und einer kleinen Schüssel wieder zurück.
Während Stoffel nun an der Ausgrabung seines Ohrenschmalzes arbeitete, beobachteten Servatius und Siegbert wieder ihren Meister. Hochkonzentriert und vor sich hin murmelnd und nickend las Grimmbold weiter und weiter. Und weiter und weiter. Zunehmend unruhig werdend hüpfte Siegbert leicht in den Knien auf und ab. Seine kleinen Schweinsäuglein zuckten durch den Raum, als hätte er sie nicht mehr unter Kontrolle. Und einer seiner Blicke traf Stoffel. Siegberts Augen weiteten sich und mit dem Ellbogen seines Flügels stieß er Servatius in die Seite. Aufmerksam geworden schaute nun auch der Anführer der Spionfledermäuse zu Stoffel herüber und seine Augen weiteten sich ebenfalls bei dem Anblick, der sich dort unmittelbar neben den Beiden bot.
Stoffel stand kerzengerade, die Flügel flach an den Körper gepresst. Seine Zunge hing leicht heraus und tropfte, während seine sonst sehr bewegungsfreudigen Augen nunmehr scheinbar bewegungsunfähig voraus ins Nichts starrten. Sein leerer Blick ging durch seine geflügelten Freunde hindurch, so als würde es sie gar nicht geben.
„Ssstoffel? Issst allesss in Orrrdnung?“ fragte Servatius vorsichtig nach. Er bekam keine Antwort, nicht einmal ein leises glucksendes Kichern, wie es sonst Stoffels Art und Weise gewesen wäre. Die kleine Fledermaus stand nur unbeweglich da, wie eine Statue, erstarrt zu einem leblosen Abbild eines Stoffels. Und neben ihm saß eine kleine grüne Raupe, welche die beiden Fledermäuse finster anstarrte. Nun bemerkten auch Servatius und Siegbert das kleine Krabbeltierchen und sofort löste es bei jedem von beiden andere Instinkte aus.
Bei Servatius war es Vorsicht. Er sah diese Raupe nicht zum ersten Mal und er konnte sich daran erinnern, dass Stoffel schon einmal von einer Raupe gesprochen hatte. War er in jenem Augenblick auch so lethargisch gewesen wie jetzt? Servatius wusste es nicht mehr, doch wollte er dennoch erst einmal abwarten, denn Siegberts Instinkt erwachte zeitgleich mit dem von Servatius, doch bei Siegbert hieß dieser Instinkt: Essen!
Mit großen Augen und einem unüberhörbarem Schmatzen tat er einen Schritt auf die Raupe zu, die kleinen Flügelkrallen ausgestreckt.
„Oooooooh, eine leckere Raupe, ich habe eeeewig nichts mehr gegessen!“ stieß er hungrig hervor. Die Raupe legte den Kopf schief, blickte die dicke Fledermaus an und Servatius glaubte zu erkennen, dass sie sogar eine Braue hob. Konnten Raupen ihre Brauen heben? Besaßen sie überhaupt welche? Er wusste es nicht. Siegbert tat einen weiteren Schritt vor und beugte sich über die Raupe, das Mäulchen weit geöffnet, als plötzlich ein gleißend gelber Lichtblitz aus den Augen der Raupe schoss und Siegbert von den Füßen riss. Sein Fell qualmte in einer dicken schwarzen Wolke auf, als hätte er Feuer gefangen und sein runder Körper flog über Servatius, Grimmbold und den Knochenaltar hinweg, schoss durch den gesamten Saal und krachte am Ende des großen Raumes laut gegen eines der Regale.
Grimmbold riss sich von den Pergamenten los, jäh in seiner Konzentration gestört.
„Verflixt, Siegbert, was soll denn...“ begann er, doch als er die dicke Fledermaus am Boden liegen sah, weit weg von ihm und eine kleine Rauchsäule von ihr aufstieg, da wurde der böse Kobold stutzig. Langsam glitt sein Blick zurück, über die Pergamente und weiter zu Servatius. Dieser starrte zu Boden, doch Grimmbold konnte nicht erkennen, worauf er schaute. Aber dann trafen sich seine Blicke mit denen Stoffels. Ruhig und mit ernstem Blick sah ihn die kleine Fledermaus an und fest und autoritär erklang seine Stimme.
„Beende das Ritual und befreie mich aus meinem Exil!“
Einige Augenblicke lang geschah nichts. Grimmbold starrte Stoffel an, Servatius starrte die Raupe an, Stoffel starrte Grimmbold an, die Raupe starrte Servatius und dann Grimmbold an und Siegbert starrte niemanden an, denn er hatte das Bewusstsein verloren.
Und dann begriff Grimmbold,
Weitere Kostenlose Bücher