Rueckkehr ins Leben
wurden. Als der Jäger nahe
genug herangekommen war und hinter einem Baum stand,
von dem aus er den Affen deutlich sehen konnte, hob er sein Gewehr und zielte. Gerade in dem Moment, in dem er den
Abzug betätigen wollte, sagte der Affe: ›Wenn du mich er-
schießt, wird deine Mutter sterben, und wenn nicht, stirbt 253
dein Vater.‹ Der Affe nahm wieder seine gewohnte Haltung
ein, kaute auf seinem Essen und kratzte sich am Kopf und an der Seite.
Was würdet ihr anstelle des Jägers tun?«
Das war eine Geschichte, die den jungen Menschen mei-
nes Dorfes einmal im Jahr erzählt wurde. Der Geschichtener-zähler, meist einer der Älteren, stellte diese Frage, auf die es keine Antwort gab, am Ende der Geschichte immer in Gegenwart der Eltern der Kinder. Jedes anwesende Kind wurde nach seiner Antwort gefragt, aber kein Kind antwortete, da sowohl die Mutter als auch der Vater unter den Umstehenden waren. Der Geschichtenerzähler lieferte ebenfalls keine Antwort. Bei all diesen Treffen sagte ich immer etwas hilflos, dass ich darüber nachdenken müsste, was natürlich keine besonders gute Erwiderung war.
Nach den Versammlungen gingen meine Freunde und ich
– Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren – alle möglichen Antworten durch, mit denen wir den Tod eines Elternteils
verhindern konnten. Es gab keine richtige Antwort. Ver-
schonte man den Affen, würde jemand sterben, und tat man
es nicht, würde auch jemand sterben.
An jenem Abend einigten wir uns auf eine Antwort, aber
sie wurde nicht akzeptiert. Wir teilten Pa Sesay mit, wenn einer von uns der Jäger wäre, würden wir gar nicht erst auf die Affenjagd gehen. Wir meinten: »Es gibt doch noch andere Tiere, die man jagen kann, wie zum Beispiel Rehe.«
»Das ist keine gültige Antwort«, sagt er. »Wir gehen ja davon aus, dass der Jäger, also ihr, das Gewehr bereits auf den Affen gerichtet hat, und jetzt müsst ihr eine Entscheidung treffen.« Er brach seine Kolanuss entzwei und lächelte, bevor er sich ein Stück davon in den Mund schob.
Als ich sieben Jahre alt war, fand ich eine Antwort auf die Frage, die mir einleuchtete. Allerdings sprach ich mit niemandem darüber, aus Angst, es würde meine Mutter verlet-
zen. Wenn ich der Jäger wäre, entschied ich, würde ich den Affen erschießen, damit er niemals wieder die Gelegenheit bekäme, andere Jäger in solch eine Notlage zu bringen.
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Zeittafel
Die Küstengebiete des heutigen Sierra Leone wurden ver-
mutlich bereits vor dem 13. Jahrhundert, wenn nicht noch
früher, von dem Volk der Bullom (Sherbro) bevölkert – lange bevor Europäer nach Sierra Leone kamen. Es gibt jedoch
keine schriftlichen Quellen, die dies belegen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wanderten Völker aus anderen Teilen Afrikas ein und ließen sich im späteren Sierra Leone nieder. Zu diesen Völkern gehörten unter anderem die Temne. Sie sie-delten sich in den nördlichen Küstenregionen an, das Volk der Mende ließ sich im Süden nieder. Insgesamt lebten noch fünfzehn weitere Völker im Land verteilt.
1462 Die schriftlich überlieferte Geschichte Sierra Leones beginnt mit der Ankunft portugiesischer Entdecker, die
das Land wegen der an einen schlafenden Löwen erin-
nernden Berge in der Nähe des späteren Freetown Ser-
ra Lyoa (Löwengebirge) nennen.
1500 bis Anfang 18. Jahrhundert Europäische Händler besuchen regelmäßig die Halbinsel vor Sierra Leone
und tauschen Stoffe und Metalle gegen Elfenbein, Holz
und Sklaven.
1652 Aus Sierra Leone werden Sklaven auf die Sea Islands vor der Küste Georgias und South Carolinas ver-schleppt, sie gehören zu den ersten Sklaven Nordame-
rikas.
1700-1800 Zwischen Sierra Leone und den Plantagen von South Carolina und Georgia, für die Sklaven aufgrund
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ihrer Kenntnisse im Reisanbau besonders wertvoll sind,
entwickelt sich ein blühender Sklavenhandel.
1787 Britische Abolitionisten ermöglichen vierhundert be-freiten Sklaven aus den Vereinigten Staaten, Neu-
schottland und Großbritannien die Rückkehr nach Af-
rika und die Ansiedelung in Sierra Leone, in der soge-
nannten »Province of Freedom«. Die Kreolen oder Krio
people, wie sie später genannt werden, stammten ursprünglich aus allen Teilen Afrikas.
1791 Weitere Gruppen befreiter Sklaven lassen sich in der
»Province of Freedom« nieder, die schon bald unter der
Bezeichnung Freetown, dem Namen der heutigen
Hauptstadt Sierra Leones bekannt wird.
1792 Freetown wird eine der ersten britischen
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