Rueckkehr ins Leben
bis alle wieder eingestiegen waren, aber die Soldaten kamen nicht, um mich zu suchen. Der Bus fuhr langsam an und
nahm Fahrt auf. Ich war illegal eingereist und wusste, dass dies später noch ein Problem werden würde.
Als der Bus Richtung Conakry fuhr, fing ich an, mir Sor-
gen zu machen, denn ich wusste nicht, was ich machen sollte, 251
wenn ich dort war. Ich hatte gehört, dass der Botschafter von Sierra Leone Flüchtlinge vorübergehend auf dem Gelände der Botschaft übernachten ließ, aber ich hatte keine Ahnung, wo die Botschaft war. Ich saß neben einem jungen Mann vom
Volk der Fulbe, der Jalloh hieß und erzählte, er habe in Freetown gelebt. Wir sprachen darüber, wie der Krieg das Land verändert hatte. Danach gab er mir seine Telefonnummer
und sagte, ich solle ihn anrufen, wenn ich Probleme hätte, mich in der Stadt zurechtzufinden. Ich wollte ihm sagen, dass ich nicht wusste, wo ich übernachten sollte, aber er stieg aus, bevor ich den Mut aufbrachte, mich ihm anzuvertrauen. Ich sah mich im Bus nach dem Mann aus Sierra Leone um, den
ich angerempelt hatte, aber ich konnte ihn nicht finden. Ein paar Minuten später hielt der Bus an einem großen Busbahnhof, der Endstation. Ich stieg aus und sah, wie alle ihrer Wege gingen. Ich seufzte und legte die Hände auf den Kopf, ging zu einer Bank und setzte mich. Ich bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Ich kann hier nicht die ganze Nacht sitzen
bleiben«, murmelte ich immer wieder vor mich hin.
Da waren viele Taxis, und alle Leute, die am Busbahnhof
eintrafen, nahmen sich eins. Ich wollte nicht als verirrter Ausländer auffallen, also nahm auch ich ein Taxi. Der Fahrer sagte etwas auf Französisch. Ich wusste, dass er mich fragte, wohin ich wollte. »Konsulat, äh, Botschaft von Sierra Leone«, sagte ich. Ich sah aus dem Fenster auf die Strommasten und die schlampig aufgehängten Straßenlaternen, die Lichter
schienen heller als der Mond. Das Taxi hielt vor der Bot-
schaft, und der Fahrer deutete auf die grünweiß-blau gestreifte Flagge, um sicherzugehen, dass ich am richtigen Ort war.
Ich nickte und bezahlte. Als ich ausstieg, verlangten die Wachen am Tor der Botschaft, die Krio sprachen, meinen Pass.
Ich zeigte ihn vor und sie ließen mich auf das Gelände.
Drinnen befanden sich über fünfzig Menschen, wahr-
scheinlich alle in derselben Situation wie ich. Die meisten lagen auf Matratzen im Freien. Ihre Bündel oder Taschen
standen neben ihnen. Andere holten Matten aus ihrem Ge-
päck. Ich nahm an, die Leute schliefen hier nur nachts und gingen tagsüber raus. Ich fand ein Fleckchen in einer Ecke, 252
setzte mich auf den Boden, lehnte mich an die Wand und
atmete schwer. Der Anblick all jener Leute erinnerte mich an ein paar der Dörfer, durch die ich gekommen war, als ich
noch vor dem Krieg davongelaufen war. Ich hatte Angst und machte mir Sorgen, welche Verwicklungen der kommende
Tag wohl bringen mochte. Trotzdem war ich glücklich, aus
Freetown herausgekommen und der Gefahr, wieder als Soldat rekrutiert zu werden, entronnen zu sein. Dieser Gedanke
spendete mir Trost. Ich nahm den übrig gebliebenen rohen
Reis aus der Tasche und fing an, darauf herumzukauen. Eine Frau saß mit ihren beiden Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, beide nicht älter als sieben Jahre, ein paar Schritte von mir entfernt. Sie erzählte ihnen flüsternd eine Geschichte, als wollte sie die anderen Leute nicht stören. Ich beobachtete ihre ausladende Gestik und ließ mich von der Flut meiner Gedanken zu einer bestimmten Geschichte tragen, die ich als Junge oft gehört hatte.
Es war nachts, und wir saßen am Feuer, streckten die Ar-
me nach den Flammen aus, hörten Geschichten und sahen
zu, wie sich der Mond und die Sterne schlafen legten. Die rote Glut des Feuerholzes erleuchtete unsere Gesichter in der Dunkelheit, Rauchschwaden stiegen unaufhörlich in den
Himmel auf. Pa Sesay, einer der Großväter meiner Freunde, hatte uns an jenem Abend viele Geschichten erzählt, aber
bevor er mit der letzten Geschichte anfing, sagte er immer wieder: »Das ist eine sehr wichtige Geschichte.« Dann räusperte er sich und legte los:
»Da war ein Jäger, der ging in den Busch und wollte einen Affen töten. Er hatte erst ein paar Minuten gesucht, als er einen Affen entdeckte, der es sich auf den Ästen eines niedrigen Baumes bequem gemacht hatte. Der Affe beachtete ihn
nicht, auch dann nicht, als die Schritte des Jägers auf den trockenen Blättern immer lauter
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