Rueckkehr ins Leben
weigerte, besuchten wir sie alle zwei oder drei Tage. An jenem Nachmittag trafen wir sie auf dem Markt und gingen mit ihr einkaufen, damit sie für uns kochte. Ihr trauriges Gesicht hellte sich auf, sobald sie uns umarmte. Sie erzählte, dass unser kleiner Bruder Ibrahim in der Schule war und wir ihn auf dem Rückweg vom Markt
abholen würden. Sie hielt uns beim Gehen an den Händen
und wandte sich uns immer mal wieder zu, als wollte sie si-chergehen, dass wir noch da waren. Als wir zur Schule unseres kleinen Bruders kamen, drehte sich Mutter zu uns um
und sagte: »Es tut mir leid, dass ich im Moment nicht genug Geld habe, damit ihr auch wieder in die Schule gehen könnt.
Aber ich tue mein Bestes.« Sie hielt inne und fragte: »Wie geht’s denn eurem Vater zurzeit?«
»Scheinbar ganz gut. Ich hab ihn heute Nachmittag gese-
hen«, erwiderte ich. Junior sagte nichts.
Mutter sah ihm direkt in die Augen und meinte: »Euer
Vater ist ein guter Mann und er liebt euch sehr. Er scheint nur immer wieder die falschen Stiefmütter anzulocken.«
Als wir die Schule erreichten, spielte unser kleiner Bruder mit seinen Freunden Fußball im Hof. Er war acht Jahre alt und ziemlich gut für sein Alter. Kaum hatte er uns gesehen, kam er auf uns zu gerannt und warf sich halb auf uns. Er maß sich an mir, weil er sehen wollte, ob er inzwischen größer geworden war als ich. Mutter lachte. Das kleine runde Gesicht meines kleinen Bruders glühte, und Schweiß bildete sich in seinen Nackenfalten, wie bei meiner Mutter. Zu viert gin-14
gen wir zu Mutter nach Hause. Ich hielt die Hand meines
kleinen Bruders, und er erzählte mir von der Schule und bat mich, später am Abend mit ihm Fußball zu spielen. Meine
Mutter lebte allein mit Ibrahim und widmete sich ganz ihm.
Sie sagte, manchmal frage er nach unserem Vater. Als Junior und ich noch in der Schule waren, hatte sie ihn ein paarmal mit Ibrahim besucht und jedes Mal geweint, wenn mein Vater Ibrahim umarmte, weil sich beide so gefreut hatten, sich wiederzusehen. Meine Mutter wirkte gedankenverloren, lä-
chelte, als sie sich jene Augenblicke ins Gedächtnis rief.
Nur zwei Tage nach diesem Besuch waren wir von zu-
hause fortgegangen. Als wir jetzt in Mattru Jong am Kai standen, sah ich meinen Vater vor mir, wie er mit seinem
Schutzhelm von der Arbeit nach Hause rannte und meine
Mutter weinend zur Schule meines kleinen Bruders lief.
Mich überkam ein flaues Gefühl.
Junior, Talloi und ich sprangen in ein Kanu und winkten
traurig unseren Freunden, als das Kanu von den Ufern Mattru Jongs ablegte. Als wir auf der anderen Seite des Flusses anleg-ten, strömten immer mehr Menschen dort zusammen. Wir
liefen los. Eine Frau, die ihre Flipflops auf dem Kopf trug, sagte, ohne uns anzusehen: »Zu viel Blut wurde dort vergos-sen, wohin ihr geht. Der Ort ist von allen guten Geistern verlassen.« Sie ging an uns vorbei. Im Gebüsch am Fluss
schrien die gequälten Stimmen der Frauen: » Nguwor gbor mu ma oo«, Gott hilf uns! Und sie riefen die Namen ihrer Kinder:
»Yusufu, Jabu, Foday …« Wir sahen Kinder, die alleine waren und die, ohne Hemd, nur in Unterwäsche, der Menge folgten.
» Nya njw oo, nya keke oo«, Mama! Papa!, riefen die Kinder weinend. Die meisten Menschen rannten noch immer, obwohl sie inzwischen nicht mehr in unmittelbarer Gefahr waren. Zwischen ihnen liefen Hunde und schnupperten auf der Suche
nach ihren Besitzern. Mir gefror das Blut in den Adern.
Wir waren fast 10 Kilometer gelaufen und befanden uns
nun wieder in Kabati, dem Dorf meiner Großmutter. Es war
vollkommen verlassen. Nur noch Fußspuren im Sand waren
übrig geblieben, die in den dichten Wald führten, der sich hinter dem Dorf erstreckte.
15
Als der Abend näher rückte, kamen Leute aus dem Gru-
bengebiet. Ihr Flüstern, das Weinen der kleinen Kinder, die ihre vermissten Eltern suchten und zu müde zum Laufen
waren, und das Schreien hungriger Säuglinge ersetzten nun die abendlichen Lieder der Grillen und Vögel. Wir saßen auf Großmutters Veranda, warteten und horchten.
»Meint ihr, es ist eine gute Idee, nach Mogbwemo zu-
rückzugehen?«, fragte Junior. Doch bevor wir antworten
konnten, heulte ein Auto, ein Volkswagen, in der Ferne auf, und alle Menschen, die auf der Straße waren, rannten ins
nächstgelegene Gebüsch. Auch wir rannten, kamen aber
nicht sehr weit. Mein Herz hämmerte und mein Atem ging
schneller. Das Fahrzeug hielt vor dem Haus meiner Groß-
mutter. Von dort, wo wir
Weitere Kostenlose Bücher