Rueckkehr ins Leben
Wald auf. Zuerst
drangen ihre Strahlen durch die Blätter und allmählich setzte sie sich, während Hahnenschreie und Spatzen lauthals das
Tageslicht ankündigten, auf die Wipfel des Waldes. Am
Abend sah man Affen im Wald von Baum zu Baum springen
und an ihre Schlafplätze zurückkehren. Auf den Kaffeeplantagen waren die Hühner ständig damit beschäftigt, ihre Jungen vor den Falken zu verstecken. Hinter den Plantagen wiegten Palmen ihre Wedel im Wind. Manchmal sah man am frühen
Abend einen Mann zum Palmweinzapfen daran hochklettern.
Der Abend endete mit dem Knacken der Äste im Wald
und dem Mahlen von Reis im Mörser. Das Echo hallte durch
das Dorf, ließ die Vögel vor Schreck aufflattern, die gleich darauf neugierig schnatternd zurückkehrten. Grillen, Frösche, Kröten und Eulen folgten ihnen, sie alle riefen die Nacht aus und kamen aus ihren Verstecken. Rauch stieg von den strohgedeckten Küchen auf, die Menschen kehrten mit Lampen
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am Arm von den Plantagen zurück und zündeten Feuerholz
an. »Wir müssen versuchen, so zu sein wie der Mond.« Ein alter Mann in Kabati wiederholte diesen Satz unermüdlich,
wenn Menschen auf dem Weg zum Wasserholen, Jagen,
Palmweinzapfen oder zu ihren Farmen an seinem Haus vor-
beikamen. Ich erinnere mich, wie ich meine Großmutter
fragte, was der alte Mann damit meinte. Sie erklärte mir, dass das Sprichwort die Menschen daran erinnern sollte, sich immer von ihrer besten Seite zu zeigen und gut zu anderen zu sein. Sie sagte, die Menschen beschwerten sich, wenn die
Sonne zu sehr schiene und es unerträglich heiß sei, und auch, wenn es zu viel regne oder es kalt sei. Aber niemand mecke-re, wenn der Mond schiene, erklärte sie mir. Alle seien glücklich und freuten sich auf ihre Art über den Mondschein. Kinder beobachteten ihre Schatten und spielten in seinem Licht, die Menschen versammelten sich auf dem Dorfplatz, erzählten sich Geschichten und tanzten die ganze Nacht. Viele
schöne Dinge passierten, wenn der Mond schiene. Das seien ein paar der Gründe, weshalb wir versuchen sollten, zu sein wie der Mond.
»Du siehst hungrig aus. Ich mach dir Maniok.« Damit war
das Gespräch beendet.
Nachdem mir meine Großmutter erklärt hatte, weshalb
wir wie der Mond sein sollten, versuchte ich mich genaustens daran zu halten. Jeden Abend, wenn der Mond am Himmel
erschien, legte ich mich draußen auf den Boden und beo-
bachtete ihn still. Ich wollte herausfinden, weshalb er so freundlich und liebenswert war. Mich faszinierten die unterschiedlichen Formen, die ich im Mond entdeckte. An man-
chen Abenden sah ich den Kopf eines Mannes. Er hatte einen mittelgroßen Bart und trug eine Matrosenkappe. An anderen Abenden sah ich einen Mann, der mit einer Axt Holz hackte, und manchmal auch eine Frau, die ein Baby an ihrer Brust
wiegte. Noch heute, wenn ich den Mond betrachte, sehe ich dieselben Bilder, die ich sah, als ich sechs Jahre alt war, und ich bin froh, dass dieser Teil meiner Kindheit noch immer in mir steckt.
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Ich schiebe eine rostige Schubkarre durch eine Stadt, in der es nach Blut und verbranntem Fleisch riecht. Der Wind weht das leise Schluchzen jener heran, deren letzte Atemzüge ihre verstümmelten Körper verlassen. Ich gehe an ihnen vorbei.
Ihnen fehlen Arme und Beine, ihre Eingeweide quellen
durch die Einschusslöcher in ihren Bäuchen hervor, Hirn-
masse dringt aus ihren Nasen und Ohren. Die Fliegen sind so aufgeregt und berauscht, dass sie in die Blutlachen fallen und sterben. Die Augen der beinahe Toten sind röter als das Blut, das aus ihnen fließt, und es scheint, als würden die Knochen gleich ihre gespannte Gesichtshaut durchstoßen. Ich senke den Blick und betrachte meine Füße. Meine zerrissenen
Turnschuhe sind durchtränkt von dem Blut, das mir offenbar die kurzen Armeehosen hinunterläuft. Ich empfinde keinen
körperlichen Schmerz, ich bin also nicht sicher, ob ich verwundet bin. Ich spüre den warmen Lauf meiner AK-47 auf
dem Rücken. Ich erinnere mich nicht, wann ich sie zuletzt abgefeuert habe. Es fühlt sich an, als hätte man mir Nadeln ins Gehirn gerammt und ich kann nicht sagen, ob es Tag
oder Nacht ist. In der Schubkarre vor mir liegt eine Leiche, eingewickelt in ein weißes Laken. Ich weiß nicht, weshalb ich ausgerechnet diesen Körper zum Friedhof bringe. Auf
dem Friedhof angekommen, versuche ich, den Körper aus
der Schubkarre zu wuchten. Es kommt mir vor, als würde er sich dagegen wehren. Ich trage ihn auf
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