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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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Kanei im
    Mondlicht, das durch die offenen Fenster drang, auf dem
    Zementboden Murmeln. Musa war inzwischen beliebt bei
    den Jungen und beendete den Abend stets mit einer anderen Geschichte. Ich saß still in der Ecke des Raums und biss die Zähne zusammen, da ich meinen Freunden nicht zeigen
    wollte, wie sehr ich unter den Kopfschmerzen litt. Vor meinem geistigen Auge sah ich funkensprühende Flammen, Sze-
    nen, deren Zeuge ich geworden war, blitzten vor mir auf,
    und die verzweifelten Stimmen der Kinder und Frauen wur-
    den in meinen Gedanken wieder lebendig. Ich weinte leise, während es in meinem Kopf hämmerte, als schlage ein Klöppel auf eine Glocke. Manchmal schlief ich kurz ein, wenn die Migräne aufgehört hatte, wurde aber schon bald von Albträumen geweckt. Eines Nachts träumte ich, dass mir in den Kopf geschossen worden sei. Ich lag in meinem Blut, während eilig Menschen an mir vorbeiliefen. Ein Hund kam und leckte mein Blut eifrig auf. Er bleckte die Zähne, als das süße Blut sein Maul füllte. Ich wollte ihn verscheuchen, konnte mich aber nicht bewegen. Bevor der Hund noch Schreckli-cheres tun konnte, wachte ich auf. Ich war völlig durchge-schwitzt und konnte den Rest der Nacht nicht mehr ein-
    schlafen.
    Eines Morgens wurde die Atmosphäre im Dorf plötzlich
    angespannter. Es war nicht klar, was den Wandel verursacht hatte, aber irgendetwas stand bevor. Alle Soldaten versammelten sich auf dem Dorfplatz, trugen ihre Uniformen und hatten Waffen und Munition in Rucksäcken und Hüftgürteln
    bei sich. Sie standen da, die Bajonette hingen an den Seiten ihrer Armeehosen herunter und sie hielten die Helme unter den Armen. »Achtung, stillgestanden!« »Rührt euch!« »Achtung, stillgestanden!« »Rührt euch!« Ich hörte die Stimme des Antreibers, als ich mit Alhaji Wasser am Fluss holte. Als wir 118
    zurückkamen, hatte der Antreiber aufgehört, den Soldaten
    einzuheizen. Stattdessen stand nun Lieutenant Jabati vor seinen Männern, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er
    sprach stundenlang zu ihnen, bis er sie in die Mittagspause entließ. Während der Lieutenant zu seinen Männern sprach, gingen wir still unseren täglichen Verrichtungen nach und versuchten gleichzeitig, seinen Worten zu lauschen, aber um ihn hören zu können, hätten wir näher herangehen und uns
    zwischen die Soldaten einreihen müssen, was gar nicht infrage kam. Wir überlegten den ganzen Tag im Stillen, was der
    Lieutenant seinen Männern wohl gesagt haben mochte.
    Abends säuberten die Soldaten ihre Gewehre und feuerten
    ab und zu ein paar Schüsse in die Luft. Bei diesen zufälligen Schüssen versteckten sich die kleineren Kinder zwischen den Beinen ihrer Eltern. Die Soldaten rauchten Zigaretten und Marihuana. Einige saßen alleine für sich, während andere
    Glücksspiele spielten und bis in die Nacht hinein miteinander scherzten. Manche sahen in einem der großen Zelte einen
    Spielfilm.
    Lieutenant Jabati saß auf der Veranda seines Hauses und las ein Buch. Er sah nicht auf, nicht einmal bei den Pfiffen seiner Männer, wenn in dem Kriegsfilm, den sie sich ansahen, ein besonders großes und beeindruckendes Gewehr zu sehen war.
    Er sah nur auf, wenn es still war. Er ertappte mich dabei, wie ich ihn betrachtete, und rief mich zu sich. Er war ein großer Mann, hatte kaum noch Haare. Seine Augen waren groß und
    ergänzten seine vollen Wangen, die aussahen, als hätte er etwas im Mund. Er war ein ruhiger Mensch, aber seine Ruhe
    verbreitete eine mächtige Autorität, die alle seine Männer fürchteten und respektierten. Sein Gesicht war so finster, dass es schon Mut erforderte, ihn direkt anzusehen.
    »Bekommst du hier genug zu essen?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich und versuchte zu erkennen, was er las.
    »Das ist Shakespeare.« Er zeigte mir den Umschlag. » Julius Cäsar. Schon mal was davon gehört?«
    »Ich hab Julius Cäsar in der Schule gelesen«, erzählte ich ihm.
    »Kannst du dich an irgendwas davon erinnern?« fragte er.

    119
    »Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt …«, begann
    ich, und er sagte gemeinsam mit mir die ganze Rede auf. Als wir fertig waren, nahm sein Gesicht wieder einen ernsten
    Ausdruck an. Er beachtete mich nicht mehr und vertiefte sich wieder in sein Buch. Ich sah, wie die Adern auf seiner Stirn verschwanden, während er den Inhalt des Buchs aufsog und
    sich darüber Gedanken machte oder was auch immer sonst
    ihn beschäftigten mochte. Ich schlich mich auf Zehenspitzen davon, als

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