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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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der Himmel das Sonnenlicht gegen die Dunkelheit eintauschte.
    Als ich sieben Jahre alt war, war ich regelmäßig zum
    Dorfplatz gegangen und hatte vor den Erwachsenen meiner
    Gemeinde Monologe aus den Werken von Shakespeare auf-
    gesagt. Am Ende jeder Woche versammelten sich die Er-
    wachsenen, um Gemeindeangelegenheiten zu besprechen. Sie
    saßen auf langen Holzbänken, und wenn sie mit ihrer Besprechung fertig waren, wurde ich gerufen und man ließ mich
    Shakespeare rezitieren. Mein Vater hustete laut, damit die anderen Erwachsenen still waren und ich anfangen konnte. Er saß vorne, hatte die Arme verschränkt und ein breites Lächeln im Gesicht, das aussah, als würde es Jahre brauchen, um wieder daraus zu verschwinden. Ich stellte mich auf eine Bank und hielt einen langen Stock als Schwert. Dann fing ich mit Julius Cäsar an. »Mitbürger! Freunde! Römer! hört mich an
    …« Ich sagte immer Reden aus Macbeth und Julius Cäsar auf, weil das bei den Erwachsenen am besten ankam. Ich fand es immer aufregend, etwas aufzusagen, weil ich dann das Gefühl hatte, die englische Sprache wirklich gut zu beherrschen.
    Ich lag wach, als die Soldaten mitten in der Nacht abmar-
    schierten, das Echo ihrer Schritte hinterließ eine unheimliche Atmosphäre im Dorf, die bis zum Morgengrauen und den
    restlichen Tag über anhielt. Zehn Soldaten wurden zum
    Schutz des Dorfes zurückgelassen, die den ganzen Tag auf
    Posten standen. Erst als der Abend die Nacht herbeiwinkte, verhängten die Soldaten eine Ausgangssperre. Sie schossen einige Male in die Luft und befahlen allen »reinzugehen und unten am Boden zu bleiben«. In jener Nacht erzählte Musa

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    keine Geschichten und Moriba spielte nicht mit den anderen Jungen Murmeln. Wir saßen still an der Wand und lauschten dem heftigen Geschützfeuer in der Ferne. In den letzten
    Stunden der Nacht segelte der Mond durch die Wolken und
    zeigte im geöffneten Fenster des Gebäudes sein Gesicht, bis er von Hahnenschreien vertrieben wurde.
    Der Morgen brachte nicht nur den Sonnenaufgang, son-
    dern er brachte auch ein paar Soldaten, die wenigen, die es bis zurück ins Dorf schafften. Ihre sauber polierten Stiefel waren schmutzverkrustet, und sie setzten sich abseits voneinander, klammerten sich an ihren Gewehren fest, als wären diese das Einzige, das sie trösten könnte. Ein Soldat, der auf einem Mauerstein unterhalb der Küche saß, hielt den Kopf in den Händen vergraben und wiegte seinen Körper hin und
    her. Er stand auf, ging einmal ums Dorf herum und setzte
    sich wieder auf den Stein. Das tat er immer und immer wieder, den ganzen Tag lang. Lieutenant Jabati hörte Radio. Irgendwann warf er es an die Wand und ging in sein Zimmer.
    Wir Zivilisten sprachen an jenem Tag nicht miteinander. Wir beobachteten nur, wie sich bei einigen Soldaten der Wahnsinn breitmachte.
    Mittags traf eine Gruppe von über zwanzig Soldaten im
    Dorf ein. Der Lieutenant war überrascht und erfreut, sie zu sehen, unterdrückte aber seine Gefühle rasch wieder. Die
    Soldaten bereiteten sich vor und zogen in den Krieg. Es gab nichts mehr zu verbergen: Wir wussten, dass der Krieg näher gerückt war.
    Schon bald, nachdem die Soldaten gegangen waren, hör-
    ten wir ganz in der Nähe des Dorfes Schüsse. Die Soldaten, die das Dorf bewachten, befahlen allen, nach drinnen zu gehen. Das Geschützfeuer hielt bis zum Abend an, störte die Lieder der Vögel und das Zirpen der Grillen. Nachts kamen Soldaten ins Dorf gerannt, um Munition zu holen und sich
    kurz auszuruhen. Verwundete Soldaten wurden zurückge-
    bracht und starben bei improvisierten Notoperationen. Ihre toten Kameraden brachten die Soldaten nie mit zurück. Gefangene wurden in einer Reihe aufgestellt und durch Kopf-
    schüsse getötet.

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    So ging es viele Tage weiter, und jedes Mal, wenn Solda-
    ten an die Front zogen, kehrten nur wenige wieder zurück.
    Diejenigen, die im Dorf blieben, wurden unruhig und fingen an, auf die Zivilisten zu schießen, die nachts zu den Latrinen gingen. Der Lieutenant forderte seine Männer auf, alle auf dem Platz zu versammeln.
    »Im Wald sind Männer, die darauf warten, unser aller Le-
    ben zu vernichten. Wir haben sie so gut bekämpft, wie wir konnten, aber es sind zu viele. Sie sind überall um das Dorf herum.« Der Lieutenant zeichnete mit den Händen einen
    Kreis in die Luft. »Sie werden nicht aufgeben, bis sie dieses Dorf eingenommen haben. Sie wollen unsere Lebensmittel
    und unsere Munition.« Er hielt inne und fuhr

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