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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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spuckte auf den Boden und fuhr fort, so lange, bis er sicher war, nichts unerwähnt gelassen zu haben, was die Rebellen den hier Versammelten schon angetan hatten.
    »Sie haben nichts Menschliches mehr an sich. Sie verdie-
    nen es nicht, am Leben zu bleiben. Deshalb müssen wir jeden Einzelnen von ihnen töten. Betrachtet es als Versuch, das Böse auszurotten. Es ist der größte Dienst, den ihr eurem Land leisten könnt.« Der Lieutenant zog seine Pistole und feuerte zwei Schuss in die Luft. Die Leute fingen an zu
    schreien. »Wir müssen sie alle töten. Wir müssen dafür sorgen, dass keiner von ihnen mehr lebendig herumläuft.« Wir alle hassten die Rebellen und waren wild entschlossen, zu verhindern, dass sie das Dorf einnahmen. Die Gesichter der Versammelten waren traurig und angespannt. Nach der Rede
    schlug die Stimmung im Dorf rasch um. Die Morgensonne
    war verschwunden und der Tag wirkte trostlos. Es schien, als wollte der Himmel auseinanderbrechen und auf die Erde
    stürzen. Ich war zornig und ängstlich zugleich, und meinen Freunden erging es ebenso. Jumah sah mit den Händen hinter dem Rücken zum Wald hin. Moriba hielt sich den Kopf,
    Kanei starrte zu Boden, Musa schlang seine Arme fest um
    seinen Körper, Alhaji bedeckte die Augen mit der linken

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    Hand und ich stemmte die Arme in die Hüfte, damit meine
    Beine aufhörten zu zittern. Alle Frauen und Mädchen sollten sich in der Küche melden, die Männer und Jungen beim
    Munitionslager, wo die Soldaten ihre Filme sahen und Marihuana rauchten.
    Als wir auf das Gebäude zugingen, kam ein Soldat mit ei-
    nem G3-Gewehr heraus und blieb im Eingang stehen. Er
    lächelte uns an, hob sein Gewehr und feuerte mehrere Schüs-se in den Himmel. Wir warfen uns auf den Boden, er lachte uns aus und ging wieder hinein. Wir traten durch die Tür
    und kamen zu einem Zelt im Innern des Gebäudes. Das Ge-
    bäude hatte kein Dach, abgesehen von der Plane, die die
    Munitionskisten und die an der Wand aufgestellten Gewehre bedeckte. Und auf dem einzig freien Platz stand ein riesiger Fernseher auf einem alten Fass. Ein paar Meter vom Fernseher entfernt befand sich ein Generator, außerdem mehrere Liter Benzin. Der Staff Sergeant führte uns hinten ums Haus, wo niemand von uns zuvor gewesen war. Dort waren über
    dreißig Jungen, darunter Sheku und Josiah, sieben und elf Jahre alt. Wir anderen waren zwischen dreizehn und sechzehn Jahren, außer Kanei, der inzwischen schon siebzehn
    geworden war.
    Ein Soldat in Zivilkleidung mit einer Pfeife um den Hals
    ging zu einem Stapel Kalaschnikows und gab jedem von uns
    eine. Als er vor mir stand, wich ich seinem Blick aus. Er drehte meinen Kopf, bis ich ihm in die Augen sah. Er gab
    mir das Gewehr. Ich hielt es in meiner zitternden Hand.
    Dann legte er das Magazin dazu, und ich schlotterte noch
    stärker.
    »Scheint, als hättet ihr alle zwei Dinge gemeinsam«, sagte der Soldat, nachdem er uns alle getestet hatte. »Ihr habt Angst davor, einem Mann in die Augen zu sehen, und davor, ein
    Gewehr zu halten. Eure Hände zittern, als wäre das Gewehr auf euren Kopf gerichtet.« Er ging die Reihe entlang und
    fuhr fort: »Dieses Gewehr« – und er hielt dabei die Kalaschnikow hoch – »wird euch schon bald gehören, also habt lieber keine Angst mehr davor. Das ist alles für heute.«
    An jenem Abend stand ich eine Weile am Eingang meines

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    Zelts und hoffte, meine Freunde würden zum Reden heraus-
    kommen, aber niemand kam. Alhaji trat nach draußen und
    sah ein paar Minuten lang in meine Richtung, aber dann
    wandte er sich ab und starrte zu Boden. Ich wollte gerade auf ihn zugehen, als er sich wieder in sein Zelt zurückzog. Ich atmete die kühle Abendluft, die den Geruch von Marihuana
    mit sich brachte. Ich seufzte, ging wieder in mein Zelt, setzte mich auf die Abdeckplane und konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich saß einfach nur mit dem Kopf in den Händen
    gedankenlos da. Es war die erste Nacht, in der ich alleine wach blieb, ohne Migräne zu haben. Als ich anfing zu über-legen, woran das wohl liegen mochte, fing ein Hahn an zu
    krähen, obwohl es draußen noch dunkel war. Der verwirrte
    Hahn krähte die ganze Nacht durch bis in die Morgendäm-
    merung hinein.
    Meine beiden Zeltgefährten, Sheku und Josiah, die beiden
    kleineren Jungen, schliefen noch, als um sechs Uhr früh die Glocke läutete, die uns zum Training rief. »Kommt schon,
    wir gehen.« Ich versuchte, sie durch sanftes Schubsen zu
    wecken. Sie rollten sich

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