Rueckkehr ins Leben
banden es ihm um den
Bauch, um das Blut aufzuhalten. Unsere restlichen Gefährten sahen mit angespannten Gesichtern zu. Musa wachte wieder
auf und tat es ihnen gleich.
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Zwischen schweren Atemzügen erzählte uns Gasemu, dass
es in der Nähe ein Wahlee * gab. Wenn wir zurück zur Plantage gingen, würde er uns zeigen, wie wir wieder auf den
Weg gelangten und dorthin kamen. Wir hatten in der Nacht
die falsche Abzweigung genommen. Gasemu legte Alhaji und
mir die Arme um die Schultern. Wir hoben ihn hoch und
gingen langsam durch die Büsche. Alle paar Minuten setzten wir ihn ab und wischten ihm die verschwitzte Stirn trocken.
Es war bereits nach Mittag, als Gasemu heftig zu keuchen
begann und sein ganzer Körper bebte. Er bat uns, ihn abzusetzen. Er hielt sich den Bauch und wälzte sich vor Schmerz von einer Seite auf die andere. Sein Keuchen wurde stärker, und er hörte auf, sich zu wälzen. Er lag nun flach auf dem Rücken und starrte in den Himmel. Seine Augen fixierten
etwas, und seine Beine vibrierten und stoppten, seine Hände genauso, dann schließlich auch seine Finger, doch seine Augen blieben offenstehen, fest auf die Baumwipfel gerichtet.
»Komm, wir heben ihn auf«, Alhajis Stimme zitterte. Ich
legte mir Gasemus Arm um den Hals. Alhaji machte es ge-
nauso, und wir gingen mit ihm weiter, seine Füße schleiften über den Boden. Seine Arme wurden kalt. Sein Körper
schwizte noch, und er blutete weiter. Wir sagten kein Wort zueinander. Wir alle wussten, was passiert war. Als wir endlich in das Wahlee kamen, waren Gasemus Augen noch immer geöffnet. Alhaji schloss sie. Ich setzte mich zu ihm. Ich hatte sein Blut an der Hand und auf dem Handgelenk. Es tat mir jetzt leid, dass ich ihn mit dem Stößel geschlagen hatte.
Das getrocknete Blut klebte noch in seiner Nase. Ich weinte leise. Ich konnte nicht so viel weinen, wie ich wollte. Die Sonne machte sich bereit, vom Himmel zu verschwinden. Sie war gekommen, um Gasemu mitzunehmen. Ich saß einfach
nur neben ihm, war nicht in der Lage zu denken. Mein Ge-
sicht versteinerte. Als der Wind dagegenwehte, spürte ich, wie sich meine Haut weigerte, den kalten Wind als angenehm zu empfinden. Die ganze Nacht fand ich keinen Schlaf.
* Stelle außerhalb der Dörfer, wo Kaffee und Getreide verar-beitet werden
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Sooft ich mir die Augen trocknete, sie wurden wieder und
wieder feucht. Ich wusste nicht, was noch zu sagen blieb. Ein paar Minuten lang dachte ich darüber nach, wie es sich für Gasemu angefühlt haben musste, als seine Finger gezittert hatten und der letzte Atemzug seinen Körper verließ.
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Wir müssen tagelang gelaufen sein, so genau erinnere ich
mich nicht mehr, als uns plötzlich zwei Männer mit Waffen bedrohten und uns mit den Gewehren Zeichen machten,
näher zu kommen. Wir gingen entlang zwischen zwei Rei-
hen von Männern mit Maschinengewehren, Kalaschnikows,
G3-Gewehren und Panzerfäusten. Ihre Gesichter waren so
dunkel, als hätten sie in Holzkohle gebadet. Sie starrten uns mit stark geröteten Augen an. Als wir am Ende der Reihe
ankamen, lagen dort vier Männer auf dem Boden, ihre Uni-
formen waren blutdurchtränkt. Einer lag auf dem Bauch, sei-ne Augen waren weit aufgerissen und starr; seine Eingeweide liefen auf den Boden. Ich wandte mich ab, und mein Blick
fiel auf den zertrümmerten Schädel eines anderen Mannes.
Etwas in seinem Gehirn pulsierte noch und er atmete. Mir
wurde übel. Alles um mich herum begann sich zu drehen.
Einer der Soldaten sah mich an, kaute auf etwas herum und lächelte. Er nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche und warf mir das restliche Wasser ins Gesicht.
»Da wirst du dich dran gewöhnen, das haben wir alle ge-
tan«, sagte er.
In der Nähe wurden Gewehrschüsse laut, und die Solda-
ten setzten sich in Bewegung, nahmen uns sechs mit. Wir
gelangten an einen Fluss, auf dem die motorisierten Alumi-niumboote der Soldaten trieben. Wir sahen Körper von Jun-
gen, nicht älter als wir, in kurzen Armeehosen, aufgestapelt am Fluss liegen. Wir wandten die Gesichter ab. Die Schüsse wurden lauter. Als wir in die Boote kletterten, flog ein Panzerfaustgeschoss aus dem Gebüsch und explodierte am Ufer.
Die Wasseroberfläche kochte. Ein Mann in Armeehosen kam
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den Weg herunter auf die Boote zu gerannt und schoss auf
die Soldaten. Einer der Männer in meinem Boot eröffnete das Feuer. Der Mann fiel zu Boden. Die Boote fuhren flussabwärts, und wir wurden an einem Nebenfluss
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