Rueckkehr nach Glenmara

hätte er sie umgefahren! Und er blieb nicht einmal stehen, um nachzusehen, ob ihr etwas passiert war.
    Wütend stieg Kate auf und trat in die Pedale. Schon wenig später war sie völlig außer Atem, weil es bergauf ging. Sie musste absteigen und ein Stück schieben, um wieder Luft zu bekommen und ihre Wut zu vergessen. Mit dem Fremden würde sie bald nichts mehr zu tun haben; er wäre nur noch eine Figur in einer Geschichte, die sie ihren Freunden zu Hause erzählte.
    Wann kommst du wieder? Diese E-Mail-Frage Ellas hatte Kate mehr als zwei Wochen zuvor in einem Dubliner Internetcafé gelesen.
    Ich weiß es nicht. Trotz der Kinder, des Hundes und des rücksichtslosen Fahrers fing sie an, sich hier wohl zu fühlen. Vielleicht war es doch nicht so schlecht gewesen, dass sie den Bus verpasst hatte.
    Inzwischen war sie oben auf dem Hügel angelangt, doch vor ihr lagen weitere, so weit das Auge reichte. Auf dem nächsten stand ein bunter Planwagen: William. Ihre Laune verbesserte sich schlagartig. Er erkannte sie gleich und winkte ihr zu. Sie fuhr die Anhöhe hinunter und blieb neben dem Wagen stehen.
    »Sie haben sich also schon zum Fahrrad hochgearbeitet«, bemerkte William, als hätten sie ihr Gespräch nie beendet. Da fiel ihm der Schmutz an ihren Ellbogen und Knien auf.
»Sind Sie gestürzt?« Er holte ein Tuch und eine Wasserflasche aus seiner Tasche.
    Während sie die Wunde säuberte, erzählte sie ihm, was vorgefallen war.
    »Da sag noch einer, auf dem Land sei’s langweilig«, meinte er. »Passen Sie auf den Straßen lieber auf. Wollen Sie jetzt immer mit dem Fahrrad fahren?«
    »Nein, das hab ich nur heute von einer Freundin geliehen.«
    »Sie haben schon Freunde in Glenmara? Freut mich zu hören. Dacht ich’s mir doch, dass Sie ein bisschen in der Gegend bleiben würden. Wo sind Sie untergekommen?«
    »Bei Bernie Cullen. Ich helfe ihr, The Gaelic Voice auszutragen.«
    »Ein gutes Blatt. Schön, dass jemand sich bemüht, die Sprache am Leben zu erhalten.«
    »Kennen Sie sie?«
    »Ich hab früher bei den Festen im Ort aufgespielt, damit Bernie und die andern jungen Frauen aus Glenmara das Tanzbein schwingen konnten.«
    »Kommen Sie doch mit – sie würden Sie sicher gern sehen.«
    »Nein, ich zieh lieber weiter, so ist das nun mal bei mir. Aber es freut mich noch aus einem andern Grund, Ihnen wieder zu begegnen: Das haben Sie verloren.« Er streckte ihr den goldenen Fingerhut hin. »Der war auf dem Boden des Wagens. Ist Ihnen wohl beim Aussteigen runtergefallen. Ein Kettenglied war brüchig. Ich hab’s für Sie repariert, damit sie ihn nicht wieder verlieren.«
    »Danke.« Sie legte die Kette um den Hals; das kühle Metall
auf der Haut zu spüren, verlieh ihr ein Gefühl der Sicherheit. »Ich dachte, er wäre endgültig weg.«
    »Sie nähen also?«, erkundigte er sich.
    »Früher, ja. Jetzt nicht mehr so viel.« Die Unterwäscheentwürfe fielen ihr ein, aus denen vermutlich nichts werden würde.
    »Ein Fingerhut wie dieser muss benutzt werden. Der richtige Zeitpunkt ergibt sich schon noch, möglicherweise sogar früher, als Sie glauben.« Er schnalzte mit der Zunge. »Ich muss mich beeilen, wenn ich den nächsten Ort vor Einbruch der Dunkelheit erreichen will. Aber am Markttag komme ich wieder, um zu sehen, wie es Ihnen geht.«
    »Bis bald dann.« Sie winkte ihm nach, bis er hinter der nächsten Hügelkuppe verschwand.
     
    Mit letzter Kraft warf Kate die verbliebenen Zeitungen ein. Sie fuhr die Straße in Richtung Kirche. Offenbar gehörte auch der örtliche Geistliche zu den Abonnenten der Gaelic Voice . Als sie sich näherte, glaubte Kate hinter einem Fenster des Cottage neben der Kapelle eine Bewegung wahrzunehmen. Obwohl niemand heraustrat, war sie sicher, beobachtet zu werden.
    Dem Glauben stand sie zwiespältig gegenüber. Sie betete jeden Abend aus Gewohnheit und weil ein kleiner Teil von ihr nach wie vor an Gott glaubte, doch einen Gottesdienst hatte sie schon lange nicht mehr besucht. Sie fragte sich, ob der Geistliche tatsächlich so konservativ war, wie die Leute behaupteten. »Hallo?«, rief sie.
    Keine Antwort; sie hatte auch keine erwartet. Gott wirkte auf verschlungenen Wegen, falls er überhaupt wirkte, und
die seiner Diener waren bisweilen noch verschlungener als die seinen. Was hatten Gebete und Glauben ihrer Mutter genutzt?
    Sie warf die Zeitung vor die Tür, wo sie neben einem Topf mit lilafarbenen Stiefmütterchen landete. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, und der Geistliche