Rückkehr nach Kenlyn
neuntausend Kilometer. «
»Danke, Yu Nan«, sagte sie, dann drehte sie sich zu Keru. »Kurs Westsüdwest! In ungefähr, warte ...«, sie rechnete kurz nach, »... achtzehn Stunden sind wir da!«
Miko drückte sich die laufende Nase fast an der Scheibe platt. »Seht mal, die Sonne ist hier viel größer als Zuhause!«
Nelen flatterte über seinem Kopf. »Auch wenn man gerade kaum was von ihr sieht.«
»Ist das alles, was vom Strahlenden Zeitalter übrig geblieben ist?« Liyen klang bitter enttäuscht.
»Ich fürchte ja«, gestand Endriel. Sie dachte an Kais Hoffnung, dass die Hohen Völker irgendwann in ihre Heimat zurückkehren konnten. Offenbar lag dieser Tag noch in weiter, weiter Ferne.
»Wo kommt dieser verdammte Staub her?«, fragte Keru. »Die ganze Atmosphäre ist voll davon!«
»Das sind die Überreste von Rokor.« Endriel sah, wie Miko bei der Erwähnung des Namens vom Glas zurückschreckte. »Keine Sorge: Die Plage ist tot und wird es auch bleiben.« Hoffentlich.
»Der reinste Alptraum«, flüsterte Liyen. Sie schauderte.
Endriel bemerkte, dass die Navigationskarte ausgefallen war, genau wie von Yu Nan prophezeit. Ihnen blieb nur der Schiffskompass zur Orientierung. »Laut Kai gibt es auch einige grüne Zonen«, sagte sie. »Wenn auch nicht hier, wie’s aussieht.«
Und wenn er mittlerweile verhungert ist? Sie schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden.
Doch was, wenn sie sich irrte? Was würde sie tun? Wie würde sie weiterleben?
Liyen schien ihre Gedanken zu erraten und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Kai ist zäh«, sagte sie. »Und wenn er Staub essen muss, um zu überleben – er wird auf dich warten.«
Wenn das Eidolon Recht hatte, dann würde er sich irgendwo einen Ausguck gesucht haben; irgendein hohes Gebäude, falls es solche noch in Shannashai gab. Drachenschiffe machten Krach; er würde die Korona hören und sich – irgendwie – bemerkbar machen.
Wenn er noch lebte ...
Halt aus, Kai, nur noch ein paar Stunden – wir sind auf dem Weg!
21. Der Kubus
»Nichts schmerzt mehr als Erkenntnis.«
– Sprichwort
Die Sonne war über dem Saphirstern untergegangen: Der Himmel hatte sich schwarz gefärbt, mit grauen Wolkenfetzen und kalt glitzernden Sternen. Schon lange vorher hatte die Korona den Kontinent aus Staub und Ruinen hinter sich gelassen – nun breitete sich ein düsterer Ozean vor ihnen aus, den Yu Nan das Stürmische Meer genannt hatte.
Der Name passte, denn die Wellen schlugen so hoch, als wollten sie nach dem Schiff greifen. Ein sichelförmiger Mond stand riesig über den Fluten und brachte Endriel und die anderen zum Staunen. Wenn man genau hinsah, konnte man künstliche Strukturen auf seiner Oberfläche erkennen, deren geometrische Forman an hauchzarte Schneeflocken oder Spinnennetze erinnerten. Sie waren nur sichtbar, weil ihr makelloses Weiß sich von dem narbenübersäten, grauen Gestein abhob.
Te’Ra. Der Saphirstern ...
Endriel erinnerte sich an ihren ersten, kurzen Ausflug hierher, als sie Kai durch das Portal in Xida-Ma begleitet hatte. Schon damals hatte die Heimatwelt der Hohen Völker für sie keinerlei Ähnlichkeit mit dem blühenden Garten aus den Geschichten gehabt, sondern war ihr eher wie ein alter Friedhof vorgekommen: verlassen, still und tot. Was sie in den letzten Stunden von dem Planeten gesehen hatte, überzeugte sie, dass sie damals noch einen verhältnismäßig sonnigen Tag erwischt hatten. Hätte sie geahnt, wie lebensfeindlich es hier war, dann hätte sie Kai niemals gehen lassen, und wenn sie ihn hätte bewusstlos schlagen müssen.
So sehr sie es versuchte, sie war unfähig, sich vorzustellen, wie es sein musste, ein halbes Jahr in diesem Weltenkadaver auszuharren. Sie wäre vermutlich längst wahnsinnig geworden.
Das brachte sie auf einen anderen, entsetzlichen Gedanken: was, wenn der Kai, den sie hier vorfand, nicht mehr der Kai war, in den sie sich verliebt hatte? Was, wenn der Saphirstern ihn bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte?
Sie versuchte, sich abzulenken, indem sie an die Bücher und Geschichten über den Saphirstern dachte, die sie verschlungen hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, dem Yanek immer wieder erklären musste, dass es keine Schuld am Tod seiner Mutter trug.
Es gab vier Kontinente auf dieser Welt – fünf, wenn man den südlichsten mitzählte, der unter Gletschermassen begraben lag und schon während des Strahlenden Zeitalters so unbewohnbar gewesen war wie Kenlyns
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