Rückkehr nach Kenlyn
schnell wieder gerichtet.
Sie flogen bis spät in die Nacht hinein. Keru und Endriel wechselten sich alle drei Stunden ab: Einer übernahm das Steuer, der andere ruhte sich aus. Miko hatte angeboten, ebenfalls das Schiff zu fliegen, aber Endriel hatte ihn ins Bett geschickt, als sich die ersten Anzeichen einer Erkältung bei ihm gezeigt hatten.
Keru hatte inzwischen die schmale Wunde an seinem Oberschenkel mit Nadel und Faden aus dem Verbandskasten genäht, aber Endriel hatte darauf gedrängt, dass er Xeah so bald wie möglich ein fachmännisches Auge darauf werfen ließ, sobald sie wieder erwachte.
Zur Antwort hatte er nur geknurrt, dann hatte er das Steuer wieder übernommen und Endriel war in einen unruhigen Schlaf geglitten, in dem amorphe Schatten über sie herfielen und eine bizarre Maschine ihren Namen rief.
Bei Sonnenaufgang überflog die Korona die bleifarbenen Weiten des Großen Meeres. Die letzten Zeichen von Zivilisation, die ihnen dabei begegneten, waren Segelschiffe von Fischern, welche die rauen Wellen mit ihren Netzen durchsiebten.
Alles, was dann für eine lange Zeit folgte, war der Ozean und ein mattgrauer Himmel.
Endriel konnte ihre Aufregung kaum noch zügeln; beinahe jede Minute waren ihre nervösen Hände wie zum Gebet zusammengelegt.
Sie hatte dafür gesorgt, dass die Heizung in Xeahs Quartier weiterhin auf voller Leistung lief und Essen und Trinken für sie bereit standen, sobald sie die Augen wieder aufschlug. Sie sah nach ihr so oft sie konnte, und wenn sie es nicht konnte, taten es die anderen für sie.
Irgendwann, als der Rest der Mannschaft schlief und Endriel die Brücke übernommen hatte, gesellte sich Liyen zu ihr. Sie hatte sich in ihrem Quartier ausgeruht, wirkte aber kaum erholt.
»Es tut mir leid«, sagte Endriel. Auf einmal fielen ihr diese vier Worte nicht so schwer, wir sie geglaubt hatte.
Liyen runzelte die Stirn. »Was meinst du?«
»Dass wir dich in diese Sache mit hinein gezogen haben.«
»Oh, da mach dir mal keine Gedanken.« Liyen zwinkerte ihr zu. »Zumindest wird es nicht langweilig mit euch.«
»Und es tut mir leid, dass ich dich die ganze Zeit verdächtigt habe.« Endriel sah sie ernst an. »Ohne dich hätten uns die Kerle völlig unvorbereitet erwischt.«
»Vielleicht – vielleicht auch nicht.« Liyen zuckte mit den Achseln. »Aber nach allem, was passiert ist, kann ich’s dir nicht mehr wirklich krumm nehmen.«
Eine Zeitlang blickten sie beide hinaus auf die Weiten des Meeres. Eine Schule von Buckelwalen brach dort durch die Wellen und zog mit dem Schiff nach Norden.
»Du hast eine gute Mannschaft, Endriel. Du kannst stolz auf sie sein.«
»Das bin ich, glaub mir.«
»Diese Art von Treue ist ziemlich selten heutzutage, weißt du.«
Endriel antwortete nicht. Sie dachte an Nelen auf dem Schmerzprojektor, hilflos und schreiend, und Xeah in ihrem Quartier, grau und leblos. Sie schloss die Augen, aber die Bilder blieben.
Liyen schien zu erkennen, was in ihr vorging; eine Gabe, die Endriel langsam unheimlich wurde. »Es tut mir leid, was mit Xeah geschehen ist.« Ehrliches Bedauern lag in ihren graublauen Augen. »Wirklich – es tut mir leid.«
»Muss es nicht«, sagte Endriel, leicht verwirrt. »Ist ja nicht so, als ob du was dafür könntest. Aber trotzdem – danke.«
Liyen nickte. »Wir fliegen jetzt schon eine ganze Weile. Wie lange brauchen wir noch?«
Endriel kontrollierte die Navigationskarte: der blinkende Punkt, der die Korona darstellte, näherte sich unaufhörlich dem formlosen Weiß der Polarkappe. Nirgends ein Schiff am Himmel. »Noch knapp drei Stunden. Wenn nichts mehr schief geht.« Endriel holte tief Luft; die Aufregung schien ihr einen Knoten nach dem anderen in den Magen zu schlingen.
Sie plauderten noch eine Weile, dann tauchte Keru auf, um Endriel abzulösen. Sie marschierte in ihr Quartier und fiel in voller Montur ins Bett.
Viel zu früh klopfte es wieder an die Tür; Miko richtete ihr aus, dass die nächste Wachablösung bevorstand.
Endriel kehrte zurück auf die Brücke und lenkte das Schiff wie im Schlaf. Eine Stunde verging, ohne dass sie es bemerkte, und schließlich schien es, als wüchse eine weiße Mauer am Horizont. Das Wasser wurde dunkler und dunkler und verwandelte sich bald in ein undurchdringliches Tintenblau, das nur von Eisschollen unterbrochen wurde.
Endriel hatte das Festland nie zuvor so weit hinter sich gelassen. Dieser Teil Kenlyns kam ihr vor wie eine neue Welt; eine, von der sie nie geglaubt
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